Bindungen, die fesseln und Bindungen, die befreien
Die Lehrer-Schüler-Beziehung Interaktionsforschung in der Schule
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Dieser Beitrag zur Psychoanalytischen Pädagogik dokumentiert die im Rahmen des Projektes Unterrichtsforschung geleistete Auseinandersetzung mit einem Erziehungskonzept, das die Zielsetzung „Freiheit und Selbstbestimmung“ anstrebt und verortet sich in einer humanistischen Tradition. Vertreter der psychoanalytischen Theorie, der Bindungstheorie, der mit der Freiheit und dem freien Willen assoziierten Philosophie, ergänzt durch Erkenntnisse der modernen Neurobiologie, bieten den theoretischen Hintergrund dieser Arbeit.
Im Fokus der Untersuchung steht die Lehrer-Schüler-Beziehung. Ihr wird im Lernprozess für das soziale Wesen Mensch eine besondere Bedeutung unterstellt. Alle hier als Präferenztheorie gewählten Ansätze teilen diese Implikation. Menschen lernen am erfolgreichsten in Beziehungen, in denen sie verstanden und wertgeschätzt werden und die Anerkennung ihrer sozialen Gruppe ist ihre Motivation zu lernen. Und je jünger die Menschen sind, je mehr bedürfen sie der Begleitung durch ihre erwachsenen Beziehungspersonen. Pädagogen haben für ihre Schüler eine verlässliche, tragende Funktion und übernehmen die Verantwortung für die Gestaltung der Beziehungen in der Lerngruppe. Diese vom Lehrer verantwortete Beziehungsqualität entscheidet letztlich darüber, ob Kinder und Jugendliche durch ständige Kämpfe um Verständnis an ihre erwachsenen Beziehungspersonen gefesselt bleiben oder sich aus zuverlässigen Bindungen hinaus in die Freiheit bewegen können.
Was diese Lehrer-Schüler-Beziehung ausmacht, wie sie sich zeigt und was sie positiv oder negativ beeinflusst, untersuchte ein Team – bestehend aus einer Erziehungswissenschaftlerin, einer studentischen Hilfskraft und acht Lehrern – in einem vierjährigen Unterrichtsforschungsprojekt. Die acht Lehrer wurden dazu drei Jahre mit der Videokamera beim Unterrichten begleitet und haben über ihre Lehrer-Schüler-Interaktionen in regelmäßigen Abständen miteinander reflektiert.
In unserem Forschungsprojekt gingen wir von der Frage aus, was eine zugewandte empathische Lehrerhaltung unterstützt oder behindert? Wir fokussierten die Rolle der Lehrer und untersuchten anschließend die Beweggründe ihres Handelns. Die inneren Repräsentationen der Lehrer von Erfahrungen mit dem Aktionsraum Schule als Schüler sowie als Kind seiner Eltern steuern wesentlich ihr Handeln in der Interaktion mit den Schülern. Durch die Begegnung mit dem Schüler begegnet der Lehrer immer wieder dem Schüler von einst in sich. Dadurch werden alte Muster aktiviert und durch Erziehung mühsam und schmerzvoll unterdrückte Impulse steuern oft unbewusst pädagogische Interventionen. Dieses „Hidden Curriculum“ bestimmt das Lehren und Lernen wesentlich mit. Zumal Lehrer heute mehr denn je Erziehungsaufgaben übernehmen müssen. Es stellt keine Selbstverständlichkeit mehr dar, dass heutige Schüler in gelungener Primärsozialisation die Schule betreten. Oft müssen die Kinder erst lern- und erziehungsfähig gemacht werden. Ein verlässliches Beziehungsangebot wird daher immer wichtiger und diese Herausforderung sollte angenommen werden – wir können sie ohnehin nicht vermeiden. Der Forschungsprozess war deshalb verbunden mit einem Trainingsprogramm, indem die Schulerfahrungen der teilnehmenden Lehrer als Schüler reflektiert wurden. Verbunden mit supervisorischer Fallarbeit entsprach dies dem Vorgehen in einer Balintgruppe: „Training cum research“ – wie Balint das nannte. Individuell ist dieser Forschungsprozess in den Erfahrungsberichten einiger Teilnehmer in dieser Arbeit dokumentiert.
Auf der Basis unserer Forschungsergebnisse entwickelten und erprobten wir das Trainingsprogramm „Auf der Suche nach Empathie – ein Beziehungstraining für Lehrer und ihre Schüler“. Es umfasst eine intensive Auseinandersetzung der Lehrer mit ihrer eigenen Lernbiographie, die Reflexion ihrer aktuellen Lehrerhaltung und wird ergänzt durch ein Training mit ihrer Lerngruppe. Unseren Erfahrungen entsprechend, verbessern sich sowohl die Lehrer-Schüler-Beziehungen als auch die Beziehungen innerhalb der Lerngruppe, wenn Lehrer sich intensiv und wahrhaftig mit den Beziehungen zu ihren Schülern auseinandersetzen.
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