Es mag überraschen, dass hier ein Buch über Paulus veröffentlicht wird, in einem Jahrhundert, wo sich das Interesse am Christentum hinter unserem Bewusstseinshorizont zu verlieren scheint. Wozu diese Persönlichkeit heute noch einmal vorstellen, während es schon so viele Bücher über sie gibt? Paulus war ein Pionier, ein Prototyp. Er blickte schon in die Zukunft, in eine Zeit, wo die äußeren Formen der Religion durch bewusste innere Erfahrung, ein Erleben innerer Freiheit ersetzt sein würden: durch eine Wiedergeburt des Geistes in einer neuen Gegenwart. Dieses Erleben wurde ihm zu einer Vision, die Vision zu einer Seelenintuition, und die Intuition zu einem Entflammen des Geistes.

Die Geschichte lehrt, dass das Mittelalter keineswegs nur jene dunkle Epoche war, als die man es aufzufassen pflegt. Es diente nämlich auch der Vorbereitung und Grundlegung eines neuen Humanismus. Im Verlauf der Menschheitsentwicklung gibt es immer wieder außergewöhnliche Bewusstseinssprünge, die sich kaum in lineare, logische Entwicklungstendenzen einordnen lassen. Einer dieser Sprünge liegt zwischen 1450 und 1550. Damals erlebten Italien und Europa insgesamt eine Zeit außerordentlich reicher, glänzender neuer Errungenschaften auf den unterschiedlichsten Gebieten, eine Dynamik, die sich insbesondere auch im Bewusstsein der Menschen ausdrückte, einem Bereich, der nicht leicht zu fassen und zu beschreiben ist.