36. IWASA Internationales Wasserbau-Symposium Aachen 2006
Spannungsfeld Fliessgewässer
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Fließgewässer sind ohne Zweifel ein aktiver und passiver Teil des Naturraumes, abhängig vom Klima, eingebunden in den Wasserkreislauf und sowohl Werkzeug als auch Objekt der natürlichen geogenen Veränderungen. Sie sind die Basis für eine vielfältige Fauna und Flora. Das gilt sowohl für die kleinsten Bäche gleich nach der Quelle als auch für die Flüsse, die sich aus vielen Nebenflüssen zu einem Hauptfluss vereinen, um schließlich als mehr oder weniger großer regionendominierender Strom ins Meer zu münden.
In diesen Kontext müssen wir auch die wasserbegleitenden Extremereignisse des vergangenen Jahres einordnen, die uns alle förmlich in Atem gehalten haben. Erinnern Sie sich bitte an den Tsunami, an die Erdbeben, an die Wirbelstürme, an die extremen Hochwässer an kleinen und größeren Flüssen und auch an die starken Schneefälle im Flachland.
Fließgewässer sind aber auch nützlich und attraktiv für den Menschen, sie werden Teil seines Lebensraumes. Das gilt für uralte Kulturen, die sich fast ausschließlich in Flussnähe entwickelt haben, genauso, wie für unsere Zeit, wenn wir beobachten, dass mehr als zwei Drittel der Erdbevölkerung im Uferraum der Flüsse und Meere leben. Es ist wichtig, dass wir uns der kulturellen Bedeutung der Fließgewässer wieder bewusst werden.
Das muss nicht gleich bis zum mythischen oder heiligen Charakter gehen, jedoch was wäre Köln ohne den Rhein oder Wien ohne die Donau, aber auch New Orleans ohne den Mississippi. Hier gibt es Beispiele zuhauf.
Flüsse waren und sind die Lebensadern großer Kulturen. Sie bieten Transport-, Verkehrs- und Handelswege, sie liefern Trinkwasser und Brauchwasser, sie sind Nahrungsquelle entweder direkt oder indirekt über die Be- und Entwässerung. Wie stark Flüsse das tägliche Leben bestimmen, zeigt ganz direkt jeder Besuch in einem Entwicklungsland.
Das war solange konfliktfrei, wie der Lebensraum begrenzt bzw. nur einen kleinen Teil des Naturraumes in Anspruch nahm, die Fließgewässer ihre volle Regenerationsfähigkeit besaßen und der Naturraum als unbegrenzte Ressource zur Verfügung stand.
Mit dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft und der daraus folgenden exponentiellen Zunahme der Bevölkerung verbunden mit einem ansteigenden Zivilisationsniveau dehnte sich der Lebensraum aus und verlangte zusätzlichen Wirtschaftsraum auf Kosten des Naturraumes. Das geschah in allen Zweigen, nicht nur in der Wasserwirtschaft, monodisziplinär und selbstbezogen.
Die Folgen sind allseits bekannt und brauchen hier nicht ausgebreitet zu werden. Kurz gefasst: wir leben heute in einer Konkurrenzsituation der Interessen. Aber auch: wir sind verpflichtet eine Lösung zu finden. Wie könnte eine solche Lösung aussehen?
Statt ideologisch den ersten Siegerplatz erkämpfen zu wollen, plädiere ich für eine offene, verständnisvolle und respektvolle Arbeitsweise. Als Bauingenieure haben wir gelernt, zuerst für jedes Projekt sehr gründlich das Lastenheft, oder neuzeitlich die terms of reference, zu bearbeiten. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Wasserwirtschaft und den Wasserbau übertragen, wenn wir zuerst das gemeinsame Ziel und die dafür geltenden Kriterien vereinbaren.
Das ist, ich weiß es, nicht leicht, denn jedes Teilziel ist unterschiedlich motiviert und mit anderen Kriterien belegt. So liegt der Schwerpunkt der EU-Wasserrahmenrichtlinie auf der Ökologie, während die gesellschaftlichen Ansprüche der Wirtschaft und der Bevölkerung in anderen Bereichen liegen und auch die globalen Einflüsse durch Klimawandel und Naturkatastrophen mit zu berücksichtigen sind.
Hier hilft nur ein differenziertes Vorgehen weiter, indem wir beispielsweise erkennen
- Bäche sind keine Flüsse und schon gar keine Ströme, oder
- auch künstliche Fließgewässer sind attraktiv für Freizeit und Erholung, oder
- „artificial and heavyli modified water bodies“ sollten nicht stigmatisiert werden, oder
- die finanziellen Belastungen müssen tragbar sein und
- Umweltschutz und Naturschutz sind nicht das gleiche,
um nur wenige Stichworte zu nennen.
In diesem Zusammenhang sind mir drei Anmerkungen wichtig. Erstens, hüten wir uns davor, unsere Altvorderen zu verdammen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie mit dem besten Willen auf der Basis des damaligen Wissens gehandelt haben. Sie waren wie jeder Bürger eingebunden in den damals herrschenden Zeitgeist.
Denn zweitens weiß man es rückblickend immer besser. Es ist ein Charakteristikum unserer Profession als Ingenieure, dass wir vorausblickend für die Zukunft arbeiten müssen. Hier können wir uns nur mit den besten Kräften bemühen. Und wer weiß, wie unsere Nachfolger einmal über uns urteilen werden.
Deshalb ist es drittens enorm wichtig, dass wir, die Wasserbauer und Wasserwirtschaftler, die Federführung verteidigen. Es ist richtig: wir arbeiten in dem sehr breiten Querschnittsfach Wasser. Aber es zeichnet den Ingenieur aus, dass er in der Lage ist, aus einzelnen Bausteinen, ein gutes, funktionierendes Gesamtwerk zu schaffen.
Auch wenn man bei politisch belegten Veranstaltungen vorsichtig sein soll, stimmen mich – als geborener Optimist – die jüngsten Ereignisse doch hoffnungsvoll. So haben sich nach meinem Eindruck auf der Flussgebietskonferenz der Bundesregierung im Juni 2005 das Bundesumweltministerium und das Bundesverkehrsministerium aufeinander zu bewegt. Oder es wurde auf einer Tagung im Umweltbundesamt (UBA) in Dessau im August 2005 festgestellt, dass ein Ausgleich von Gewässerökologie und Gewässernutzung zu realisieren sei. Es ist der Erwähnung wert, wenn das UBA schreibt, dass die Wasserkraft und Schifffahrt im Einklang mit der Gewässerökologie seien. – Inwieweit die Bekenntnisse im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung in dieser Hinsicht belastbar sind, möge jeder für sich entscheiden.
Flüsse sind die Schaufenster der Wasserwirtschaft und Wasserbau ist in Baumaßnahmen umgesetzte Wasserwirtschaft. Dass dies so bleibt, ist aller Anstrengungen wert. Eine dieser Anstrengungen ist unser alljährliches Internationales Wasserbau- Symposium Aachen, kurz: IWASA.
Jürgen Köngeterweiterlesen
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