Eine Urne versinkt im schmalen Grab. Zwei Frauen in Schwarz, sie trauern nicht wirklich. Eine Obduktion kann nicht mehr stattfinden. Ein ganz normales Leben geführt zu haben – davon war Helen ein Leben lang überzeugt. Als Deutsche in einem Dorf im rumänischen Banat aufgewachsen, erlebt sie als Kind mit ihrer Familie die durch das kommunistische Regime angeordnete Deportation in die Bărăgan-Steppe. Später, als Studentin, nimmt sie in der Stadt Temeswar an Veranstaltungen mit regimekritischen deutschsprachigen Schriftstellern teil. Als Zwanzigjährige heiratet sie einen Westberliner und kommt in die geteilte Stadt. Ein bisschen aufregend war es schon, ihr Leben, aber für die damaligen Umstände, findet sie, war es auch normal. Sie ist überzeugt, es sei dennoch ein ganz normales Familienleben, wie es jeder sucht – auch in Zeiten von Totalitarismus, auch in Zeiten politischer Umwälzungen. Doch dann reihen sich Merkwürdigkeiten an Merkwürdigkeiten. Rund um den Leipziger Abendweg
am Cosbudener See werden Schichten eines Lebens sichtbar. Und Helen erkennt langsam, dass sie als Spielball von Geheimdiensten und Politik instrumentalisiert wurde.
Der 1959 im rumänischen Banat geborene, 1987 in die Bundesrepublik gejagte deutsche Schriftsteller Helmuth Frauendorfer erzählt in seinem Roman „Abendweg“ das Leben der Banater Schwäbin Helen. Ihr Leben liest sich wie ein zeitgeschichtliches Dokument der verheerenden Auswirkungen von Totalitarismus und Diktatur bis in die privatesten Details – nicht nur im vergangenen, sondern auch im 21. Jahrhundert.weiterlesen