Adrian Bütikofer - Schwingung / Vibration
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
RESONANZRAUM FÜR DEN GEIST UND DIE SEELE
Den Titel «Schwingung» für eine Publikation über Skulpturen zu wählen, überrascht, weil das Wort eine Bewegung beschreibt, in der Physik eine luftige Pendelbewegung. Etymologisch verwandt ist der Begriff «Schwinge» als Synonym für Flügel sowie «Schwung», mit dem die der Bewegung vorausgehende, impulsgebende Energie beschrieben wird. Weiter dient das Wort als Bezeichnung für ein positives Lebensgefühl, das Optimismus, Vitalität und Kreativität vereint und mit dem Wort «Verve» treffend charakterisiert wird.
«Schwingung» hat somit nicht nur mit dem Element Luft zu tun, sondern ebenso mit der seelisch-geistigen Sphäre. Wenn Adrian Bütikofer seine abstrahierte Vogelskulptur «Garuda» (S. 72) nennt, lehnt er sich an die asiatischen Mythologie, wo der halb mensch-, halb adlerähnliche Garuda die Bedeutung eines Götterboten einnimmt, der den Menschen Nachrichten und Anweisungen der Götter überbringt und somit das Göttliche mit dem Irdischen verbindet. Das vertiefte Interesse an Transzendenz und an tranceartigen bzw. ekstatischen Zuständen, bekundet der Künstler mit den Werktiteln «Sich im Rausch bewegen» (S.4), «I have Seen Bright Light in the Sky» (S.19) und «Adoration» (S.16). In östlichen und westlichen Weisheitslehren wird Geist mit Lebensenergie bzw. der ein- und ausgeatmeten Luft gleichgesetzt.
Der englischsprachige Buchtitel «Vibration» eröffnet ein weiteres Assoziationsfeld, nämlich die Hörbarkeit und Fühlbarkeit von im Material innenwohnender Schwingung. Hierbei handelt es sich um eine mechanische Bewegung eines Körpers, die haptisch als Erschütterung, akustisch als Sequenz von Schallwellen wahrgenommen wird. Bei Zupf- und Streichinstrumenten wie Gitarre oder Violine werden durch Berührung Saiten in Schwingungen versetzt, es entsteht ein Klang, der durch den hölzernen Resonanzkörper verstärkt wird. Bei der Kunstbetrachtung erfolgt die Berührung auf seelisch-geistiger Ebene; gute Kunst löst Gedanken und Gefühle aus. Wer sich auf Kunst einlässt, wird zum Resonanzraum der künstlerischen Energie.
«Schwingung» und «Vibration» implizieren ein periodisches Hin und Her bzw. Auf und Ab quasi als Widerstreit zweier unterschiedlicher physikalischer Kräfte – der Erdanziehung und des Impulses. «Schwingung» wird in der Physikwissenschaft in Form von Wellenlinien dargestellt. Ganz allgemein werden gerundete Linien als organisch und harmonisch empfunden. Es gibt kaum ein Werk von Adrian Bütikofer, das nicht positiv gestimmt wäre. Seine Kunst ist Ausdruck einer lebensbejahenden, hoffnungsvollen Grundhaltung aus der Überzeugung, dass Beschwingtheit nichts anderes als Glücklich-Sein beinhaltet.
Bütikofers schwungvolle Holzskulpturen veranschaulichen symbolhaft eine geschmeidige, nach Entfaltung strebende Kraft. Die zentrierten Werke «Turn Around III, V und XII» (S. 6,69,17), «Losgelassen» (S.6) und «Spiral Galaxy II» (S.7) öffnen sich spiralförmig, als wäre die Form erst im Entstehen begriffen. «Internal Twist» (S.68) und «Wandlung» (S.15) scheinen in eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe erreicht zu haben; sie sind vertikal ausgerichtet. Sich um die eigene Achse drehend, scheinen sie unendlich in die Höhe zu wachsen.
Geschwungene Kraftlinien
Zeigen seine früheren Arbeiten oft einen offenen, durch Anfangs- und Endpunkt markierten Linienverlauf, so zeichnen sich seine jüngsten, aus Eschenholz geschaffenen, anschliessend mit dem Schweissbrenner abgeflammten Werkgruppen «Flow», «Glücksfänger» und «Bunter Hund» durch ein zirkuläres, in sich geschlossenes Liniensystem aus.
Mit der Werkgruppe «Flow», die im Jahr 2019 einsetzt, lotet Adrian Bütikofer die Grenzen seines Metiers aus. Die Kunstwerke wirken wie gestische Zeichnungen im Raum. Die fliessende Linienführung erinnert an japanische Tuschmalerei. Darüber hinaus gemahnen «Flow I bis IV» mit ihrer geriffelten Oberfläche an durch die Lüfte schwirrende schwarze Seile, die augenblicklich im schlängelnden Tanz erstarren. Faszinierend an diesen beiden Arbeiten ist, dass sie sowohl liegend als auch hängend präsentiert werden können. «Flow V bis VIII» sind hingegen als stehende Objekte konzipiert. Sie verströmen aufgrund ihrer ruhigen, stellenweise parallel verlaufenden Linien eine meditative Ruhe, die durch die glatte Oberflächenstruktur unterstrichen wird.
Die Werkgruppe der «Glücksfänger» besteht aus verschiedenen amorphen Strukturen, die sich aus einer Vielzahl von «Zellen» zusammensetzen. In der Biologie würde man von Mehrzellern sprechen. Für den Künstler sind es Glücksfänger. Der Gedanke an indianische Traumfänger schwingt mit, wenn man bedenkt, dass diese ebenfalls eine mehrteilige, durchbrochene Binnenstruktur in Form eines grobmaschigen Netzes aufweisen. Die Glücksfänger sind Wandobjekte. Je nach Lichteinfall und Beschaffenheit des Hintergrundes ergibt sich ein wechselndes, kontrastreiches Schattenspiel.
Nomen est Omen: Die Serie «Bunter Hund» tanzt ein wenig aus der Reihe, so wie man es von energieüberschüssigen Wesen kennt. Die rot, grün oder blau bemalt «Strichmännchen» aus Eschenholz vollführen übermütige Posen, machen den Handstand, stehen Kopf und schlagen Purzelbäume. Sie bestehen aus einer einzigen «verdrehten» Linie, die den Anschein erweckt, sich verselbständigt zu haben. «Bunter Hund» offenbart des Künstlers verschmitzte Seite, die auch bei der Kleinskulptur «Zwerg und Riese» Pate stand. Die Figuren sind im Schwung. Sie strotzen vor Lebensfreude. Ihre Leichtigkeit ist psychischer und zugleich physischer Natur.
Lucia Angela Cavegn, Kunsthistorikerin, Winterthurweiterlesen
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