Amerika erzählen
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"Ohne ein Amerika-Bild hätte kein europäischer Kolonist je den Ozean überquert", schreibt Hannah Arendt in "Europa und Amerika".
"Dieses Bild von Amerika war das Bild einer Neuen Welt". Darum ging es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch zahlreichen europäischen Intellektuellen. Amerika war aus dem Krieg als die strahlende Siegermacht hervorgegangen, präsentierte stolz das eigene Modell und lud zur Besichtigung ein. Jean-Paul Sartre, der mit seinem Existenzialismus in Paris Furore machte, kam 1945 zum ersten Mal nach Amerika, ein Jahr später machte sich Albert Camus auf die Reise und im Januar 1947 brach Simone de Beauvoir zu einer viermonatigen Vortragsreise auf. Amerika ist für sie ein Faszinosum, ein Land der Zukunft, das sie endlich mit eigenen Augen sehen will. Beauvoir taucht tief in die amerikanische Realität ein, durchstreift Manhattan, macht sich auf den Weg nach Harlem, reist quer durch das Land, auch in den Süden, und erlebt den "Schock des Wirklichen". Das erfundene, das mythische Amerika weicht zurück: "nirgendwo ist Amerika", schreibt sie in ihr Tagebuch. Claude Lévi-Strauss, der in diesen Jahren als Kulturbeauftragter in New York lebt, gibt seinen Besuchern den Rat, Amerika nicht mit europäischen Augen zu sehen, sondern an die Neue Welt andere Maßstäbe anzulegen.
Wie man zu Amerika, zur Demokratie, steht, wurde gleich nach dem Zweiten Weltkrieg zum heiß umstrittenen Thema. Die deutschen Intellektuellen gingen mehrheitlich auf Distanz. Die renommierte Journalistin Margret Boveri veröffentlichte 1946 ihre "Amerikafibel für erwachsene Deutsche". Boveri hatte das Land von der Westküste zur Ostküste bereist und Anfang der vierziger Jahre als Korrespondentin in New York gearbeitet. Von Faszination ist bei ihr nichts zu spüren, sie warnt vor der amerikanischen Demokratie und ihren missionarischen Absichten. Die Deutschen sollten einer Umerziehung unterworfen werden, um ihnen das nationalsozialistische Gedankengut auszutreiben und die Demokratie einzuflößen. Boveris Buch hatte großen Erfolg, die Deutschen fühlten sich in ihren Ängsten vor Amerika bestätigt. Der Anti-Amerikanismus der zwanziger Jahre wurde in den vierziger und Anfang der fünfziger Jahre in Deutschland wiederbelebt. Eine Ausnahme bildeten die Remigranten. In seinem Vortrag "Kultur und Culture" (1957) zeichnet Adorno ein völlig entspanntes, ja geradezu idyllisches Bild von der amerikanischen Lebenswirklichkeit, er nennt sie sogar ein Stück "erfüllter Utopie".
Es waren vor allem die französischen Intellektuellen, die einen Blickwechsel herbeiführten. Nicht mehr der Dualismus von Kultur und Zivilisation stand im Mittelpunkt, sondern der Rassismus, "die Negerfrage", an ihr zeige sich, so Beauvoir, "die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit" der amerikanischen Demokratie. An dieser Kluft hat sich auch in Zeiten von Black Lives Matter nichts geändert – im Gegenteil.weiterlesen
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