Im März 1968 inszenierten die Medien der Volksrepublik Polen eine Hetzkampagne gegen jüdische Polen, denen sie vorwarfen, die Drahtzieher der Studentendemonstrationen zu sein. Im Zuge einer allgemeinen antisemitischen Hysterie wurden Juden und Polen jüdischer Herkunft diskriminiert, aus der Partei ausgeschlossen oder von ihren Arbeitsstellen entlassen. Etwa 15.000 Personen sahen infolgedessen keine andere Möglichkeit als zu emigrieren.
In bisherigen Darstellungen der Ereignisse heißt es, die antisemitische Kampagne sei von der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei ausgegangen und eine zentrale Rolle dabei habe der nach mehr Macht strebende Innenminister Mieczysław Moczar eingenommen. Der Autor widerlegt diese Interpretation und zeigt, wie die Kampagne von unteren und mittleren Funktionären entscheidend vorangetrieben wurde, während die oberste Parteiführung – so seine These – die Kampagne ablehnte.
Anhand von Materialien zu zwei wissenschaftlichen Instituten, dem Kernforschungsinstitut und dem Institut für Experimentalphysik in Warschau, untersucht Hans-Christian Dahlmann den unterschiedlichen Verlauf der Kampagne detailliert auf der Mikroebene. Er leuchtet die Handlungsspielräume der lokalen Akteure aus und weist nach, dass sie entscheidenden Einfluss auf die Geschehnisse hatten. Der Autor, der zahlreiche Zeitzeugen interviewt, eine Fülle von Erinnerungsliteratur und umfangreiche Bestände in polnischen Archiven ausgewertet hat, fragt auch danach, wie die jüdischen Polen die Kampagne erlebten, wobei er insbesondere die wiederkehrenden Erinnerungen an den Holocaust thematisiert. Ferner untersucht er die Einstellung der nichtjüdischen Polen zu den Ereignissen und analysiert ihre Verhaltensweisen.weiterlesen