Antisemitismus von links
Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Auf ihrem Höhepunkt Anfang der fünfziger Jahre erfuhren die seit Jahren in Osteuropa andauernden stalinistischen Parteisäuberungen eine kaum verhohlene antisemitische Ausrichtung. Auch in der DDR wurden hohe Parteimitglieder öffentlich angeklagt, im Dienste des Zionismus und der USA-Finanzoligarchie die Ausplünderung Deutschlands ins Werk gesetzt zu haben.
In dem vorliegenden Band geht Thomas Haury der Frage nach, wie Vorwürfe dieser Art entstehen konnten. Er untersucht die Strukturen antisemitischen Denkens und vergleicht sie mit drei grundlegenden Programmatiken, die dem deutschen Kommunismus eine inhaltliche Prägung gaben: Am Weltbild Lenins macht er deutlich, daß trotz des Fehlens unmittelbar antijüdischer Einstellungen eine große Nähe zu antisemitischen Verschwörungstheorien und Feindbildern besteht. So stellt Lenin zur Legitimation von Revolution und Parteidiktatur einen unversöhnbaren Gegensatz zwischen 'produktiver Arbeit', Proletariat und 'werktätigem Volk' mit den 'Finanzkönigen', den 'volksfeindlichen Imperialisten' und den 'Parasiten' her.
Wie anfällig eine derartige Ideologie für antisemitische Stereotype ist, zeigt sich an dem zweiten Beispiel, auf das Haury zurückgreift - die Propaganda der KPD in der Weimarer Republik. Im Zuge ihrer nationalistischen Agitation, mit der sie den Mittelstand gewinnen wollte, setzte die KPD dem 'schaffenden deutschen Volk' bedenkenlos 'jüdische Kapitalisten', 'jüdische Börsenjobber' und das 'verjudete Finanzkapital' entgegen, die sich angeblich 'durch die Ausbeutung des deutschen Volkes mästen' würden.
Die SED schließlich trieb sowohl die Leninsche Ideologie als auch den kommunistischen Nationalismus auf die Spitze: Sie sah sich einer weltweiten imperialistischen Verschwörung der 'Dollarkönige' gegenüber. In der DDR hätten sich 'getarnte Agenten des Monopolkapitals' überall eingeschlichen, um Staat und Partei zu zersetzen. In Westdeutschland stöhne das Volk unter 'imperialistischer Okkupation', 'amerikanischer Unkultur' und 'Dollarzinsknechtschaft'. USA-Imperialismus und Zionismus verschmolzen in dieser Perspektive zu einem weltweiten Verschwörungszusammenhang, gegen den das deutsche Volk unter Führung der SED den nationalen Befreiungskampf führen müsse.
Im Rahmen dieses Antizionismus ließen sich auch spezifisch deutsche Belange unterbringen. Die SED leugnete jede Mitschuld des deutschen Volkes am Nationalsozialismus und an der Vernichtung der europäischen Juden und lehnte es 1952/53 sogar ab, arisiertes jüdisches Vermögen rückzuerstatten. Sie bezeichnete derartige Ansinnen als Ausbeutung des 'werktätigen deutschen Volkes' zugunsten 'zionistischer Monopolkapitalisten'.
Mit seiner Untersuchung belegt Haury, daß die Grundstrukturen des kommunistischen Weltbildes jenen des Antisemitismus sehr nahe sind; im Zuge der Radikalisierung und Nationalisierung der kommunistischen Ideologie war die Integration des Antisemitismus zwar keine zwingende, infolge der europäischen Tradition des Antisemitismus allerdings eine äußerst naheliegende Konsequenz.
Zum Autor:
Thomas Haury, Dr. phil., geboren 1959, studierte Soziologie und Geschichte. Er promovierte mit der vorliegenden Arbeit im Februar 2001 an der Universität Freiburg und ist derzeit in verschiedenen Bildungseinrichtungen tätig.weiterlesen
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