Der Künstler, Kurator und Autor Andreas Seltzer ist auch Sammler – nicht nur von Künstlerischem und Alltäglich- bis Kurios-Gegenständlichem, sondern auch von Beobachtungen, die er auf seinen Wegen raus aus seiner Berliner Atelierwohnung eingesammelt und aufgeschrieben hat. Die Besonderheit seiner Funde liegt schon in den Wegen begründet, die er einschlägt: es sind Randwege, die ihn stets in Grenzbereiche führen, zu etwas, das irgendwie nicht passt und nicht ganz aufgeht – jedenfalls schräg hineinreicht in die gewöhnliche Sicht auf die Dinge.
So zu einer Vielzahl Berliner Orte, die kein Reiseführer verzeichnet: z.B. zu einer katholischen Pilgerstätte inmitten der Diaspora der Potsdamer Straße, zum Dachbodenfund/us der Berliner Artothek der Sozialen Kunstförderung – einer Sammlung von Bildkunstwerken, vom Westberliner Senat in Auftrag gegeben zur Förderung Bildender Künstler, dann von der Verwaltung selbst vergessen –, oder in die Polizeihistorische Sammlung Tempelhof, wo eine Dessertgabel keine Lust mehr auf Kuchen evoziert, in Joe Bernards Neuköllner Zauberladen, dessen Zaubertrick-Kurse auch auf Nachfrage bei Taschendieben stoßen könnten, zu Poseidon in Schöneberg oder in die Ruhlebener Geisterstadt Fighting City – eine wie aufgeschnittene Puppenstubenstadt aus Beton, in der die britischen Alliierten den Häuserkampf probten –, auch zu dunklen, aber unter suizidalen Berlinern beliebten Orten, ins Tempelhofer Zentrale Fundbüro oder zum Museum der Dinge – aber es gibt ebenso Porträts eines Kinderzimmers im Barbie-Look, der Wohnung eines Gummi-Liebhabers oder einer banalen Baumarkt- und einer Globetrotter-Filiale. Seltzers Thema ist immer die – gewollt bis ungewollt – surreale Anordnung von Dingen in der Grauzone zwischen Kunst, Alltag und den ihnen mitunter korrespondierenden Pathologien: Es geht um Bilder realer Surrealitäten.
Der Photokenner Seltzer porträtiert auch Koryphäen dieses Handwerks, z.B. den Indianerphotographen E.S. Curtis, den Pressephotographen Erich Salomon, aber auch die obskure Welt der ›Geisterfotos‹. Stets schlagen diese Essays einen erhellenden Funken: etwa über den Sänger Henry de Winter oder die mexikanische Tanzmaskensammlung des Malers Gerhard Christian Löwenstein, über den Galeristen Rainer Borgemeister, über eine sehr spezielle Berliner Variante eines mechanical man und die Hüte und Hutsammlung von Ulla Klingbeil u.v.a.m.weiterlesen