Nach Liberty Shtunk! Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten legt Norbert Aping einen weiteren Teil der deutschen Chaplin-Rezeption vor, der 1915 beginnt und bis zum Jahr 1924 reicht. Zum ersten Mal wird in einem Buch über Chaplin dargelegt, dass und wie er bereits im Deutschen Kaiserreich und während des Ersten Weltkrieges wahrgenommen wurde, es aber nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs noch fast drei Jahre dauerte, ehe in der Weimarer Republik der erste Chaplin-Film zu sehen war. Davor jedoch hatten findige deutsche Verleiher schon US-Zeichentrickfilme mit der Tramp-Figur Charlie in Umlauf gebracht. War Chaplin bereits vor seinem Filmdebüt in Deutschland ein Lieblingskind deutscher Intellektueller gewesen, erregte er nun auch die Aufmerksamkeit eines breiten Kinopublikums, das alles begierig konsumierte, was unmittelbar oder auch nur mittelbar mit Chaplin zusammenhing.
Gegenstimmen hatten allerdings nicht lange auf sich warten lassen. Chaplins erfolgreiche Filme, die als so genannte Sorgenbrecher in schwerer Zeit außerdem Wegbereiter für zahllose andere Slapstick-Filme aus den USA waren, gaben dem bekannten deutschen Konflikt zwischen ernster Kunst und leichter Unterhaltung Nahrung. Das rief deutschnationale Kritiker auf den Plan, für die US-amerikanische Lustspiele und das deutsche Humor-Verständnis unvereinbar waren – eine regelmäßig wiederkehrende Kontroverse in deutschen Blättern. Und wegen seines in Deutschland damals gar nicht zu sehenden Anti-Kriegsfilmes Shoulder Arms wurde Chaplin sogar als „Deutschenfresser" verunglimpft, dessen Filme boykottiert werden müssten.
Dessen ungeachtet hieß es über Chaplins Siegeszug bald, er habe „Deutschland im wahnwitzigen Tempo erobert". Kein Wunder, dass deutsche Filmproduzenten versuchten, sich an diesen Erfolg mit Chaplin-Imitationen anzuhängen. Die Hoffnung auf das baldige Ende der deutschen Hyperinflation brachte Mitte Juni 1923 die Ufa dazu, Chaplins Welterfolg The Kid einzukaufen, der ab Spätherbst jenes Jahres zu einem Publikumsrenner in Deutschland wurde und eine größere Publikums- und Presseaufmerksamkeit denn je auf sich zog. Kaum zu glauben, dass dieser warmherzige, einfühlsame Film zunächst bei der deutschen Filmzensur angeeckt war! Und immer neue Imitatoren tauchten auf, die in so genannten Bühnenschauen vor Kinoaufführungen und in Varietés auftraten und sich zuweilen sogar als Chaplin höchstpersönlich ausgaben. Allein schon der Name Chaplin ließ die Kassen klingeln – ein idealer Werbeträger!weiterlesen