Christine Schmerse: Waldauflauf - Frau Förster läßt bitten.
Produktform: VCD
Helmut Hartwig
Waldauflauf. Frau Förster läßt bitten.
Der Titel der Installation von Christine Schmerse „Waldauflauf - Frau Förster läßt bitten“ ... öffnet ein Feld, das von trivialen Fantasien besetzt ist. Was wird sie daraus machen? – mag man sich fragen. Da gibt es Liedgut und Mythen, fertige Bilder und Handlungssequenzen, Vorbilder in Kunst und Kitsch, die auf der Fantasie lasten.
Aber beim Besuch der Ausstellung merkt man sofort: auf der Fantasie von Christine Schmerse lastet dieses Erbe nicht. Ihr Spiel mit Objekten, Gedanken, Figuren, Stoffen, Prozessen beginnt schon befreit, ihre künstlerische Arbeit setzt an im Konkreten, im Laub, an der Schwarzwälder Kuckucksuhr, bei den Fundstücken (den realen Wildschweinsfüßen), und sie macht sich daran, all das in einem Kunstwerk miteinander in Beziehungen zu bringen. Zu diesem Zweck erfindet Christine Schmerse visuell-gegenständliche Metaphern, in denen die Bewegung, die in jeder Metapher von einer zur anderen Bedeutung symbolisch am Werk ist, in reale Beziehungen umgewandelt wird und so in Erscheinung tritt, als gingen die sichtbaren Dinge der symbolischen Wirklichkeit voraus.
Das ermöglicht die Installation.
Bei einer Installation handelt es sich um ein hochgradig zusammengesetztes künstlerisches Genre. Während in den traditionellen Genres Malerei, Zeichnung, Fotografie und Plastik die Darstellungsmedien reduziert, und manche sagen: in einem Material konzentriert sind, erzeugen Installationen eigen(artige) Räume und Kombinationen, in denen sich genrespezifische Darstellungsweisen mit ihren Selbständigkeitsansprüchen einfügen müssen. Zeichnen, Malen, Modellieren, Bauen, Fotografieren kommen zwar als Tätigkeiten vor, aber sie verbinden sich mit anderen, die gar keine Heimat in einem traditionellen Genre (und sogar in der Kunst überhaupt) haben. Es wird mit ganz unterschiedlichem Material konstruiert, gebaut, experimentiert, und der Witz einer Installation entsteht in einer Zone, in der verborgene Merkmale des Materials aufgedeckt, bekannte Eigenschaften von Dingen zum Verschwinden gebracht, Bedeutungen verschoben und neue Verbindungen zwischen alten Themen und ungewöhnlichen Umgebungen hergestellt werden.
Schauen wir uns einiges genauer an.
Aber Schauen reicht nicht. Die Metaphern nisten im Abfallsack und geben aus diesem Töne von sich, die sich wie Rascheln und Schweinegrunzen anhören. Das klingt noch ganz waldisch, und vieles in ihrer Installation hält durchaus die Verbindung zum Waldischen, aber auf eine spielerische Weise, der unsere Wahrnehmung mit Vergnügen folgt.
Da hängt die Kuckucksuhr an einem Gestell aus Dachlatten. Von einem „Stamm“ zweigen nach einer Seite „Äste“ ab. Die Anführungsstriche sind nötig, weil es sich um ein sehr ungewöhnliches, karges Zeichen für „Baum“ handelt. Irgendwie auf der anderen Seite des Baums findet sich ein Eimer, aus dem ein Wassertropfen tropft...
ein Wassertropfen tropft
tropft
tropft
und verdampft auf einer –
auf einer ...
Der Name ist schon verrostet. Das Ding müsste einen neuen Namen haben. Aber sagen wir den alten jetzt doch: Kochplatte, die in einem „Nest“ aus Dachlatten versteckt ist.
Und was bedeutet das?
Zuerst bedeutet es, was wir sehen.
Aber während des Sehens bildet sich im Hintergrund der Wahrnehmung, zuerst ganz blass, dann dringlicher, so etwas wie ein unfertiger Begriff
ZEIT
Und dann sehen wir: es gibt zwei Zeiten: eine Zeit, die an der Kuckucksuhr hängt, und eine, die aus dem Eimer tropft.
Daneben steht eine Futterkrippe. Unerreichbar hoch. Zwar fehlt das Futter, aber Teller sind schon vorhanden. Und die Füße, auf denen die Krippe steht, erinnern an (Tier)-Füße ...
Natürlich gibt es auch das, was man erwartet: die ausgestopften Tiere aus der Sammlungsvitrine mit Etikett („der Feldhase“ z.B....); das Geweih, das einen schönen Schatten wirft; das Vogelhäuschen, aus dem ... Nein, die Erwartungen werden nicht in Serie bedient, sondern mitten im Angebot unterlaufen. Das Häuschen ist ramponiert. Die Tür steht auf. Kein Vögelchen nickt einem zu. Eine penetrant aggressive elektronische „Vogelstimme“ stört die Idylle, die aus den Kinderbüchern stammt. Aber: es (man) geht vorüber. Und von jedem Objekt zum anderen gerechnet ist genug Platz.
Gerade dieses Gefühl für die richtigen Abstände im Raum gehört zur Kunst von Christine Schmerse.
Sie lockert und verdichtet. Von manchen Objekten wird die Aufmerksamkeit leicht und von anderen streng festgehalten. Zum Beispiel von den steppenden Füßen oder von dem Efeu, in dem eine geheimnisvolle Bewegungskraft am Werk ist. Und von jener merkwürdigen Spieluhr mit den Wildschweinsfüßen, die über einem alten Kinderlied auf mit Blüten bestreuten Tellern rotieren ...
Christine Schmerse ist eine Künstlerin, die ihren Objekten mit leichter Hand aber genauem Kalkül Bedeutungen gibt und nimmt. Das Vergnügen, das man mit ihrer Installation hat, hängt damit zusammen, dass bekannte Wald- und Felddinge uns mit einer Art Anwesenheit erfreuen, die sich - mitten im Prozess des Wiedererkennens – dem Zugriff entziehen. Im Schlendern durch ihre Installation entscheidet die Wahrnehmung immer aufs neue, bei den sichtbaren und hörbaren Ereignissen zu bleiben.weiterlesen