Contested Modernities
Postkoloniale Architektur und Identitätskonstruktion in Südostasien
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Vom Begegnen mit
und Streiten über
die Architekturmodernen
in Südostasien
Text: Sally Below, Moritz Henning, Christian Hiller, Eduard Kögel
I. Encounters with Southeast Asian Modernism
A History of Architecture von Banister Fletcher Sr. und Jr., ein weltweiter Klassiker der Architekturausbildung im 20. Jahrhundert, erschien erstmals 1896. Am Beispiel dieses Buches wird die – bis heute anhaltende – Ignoranz des Westens gegenüber der Architektur ganzer Weltregionen deutlich, so Johannes Widodo, der Architektur und Stadtgeschichte in Singapur lehrt. Seit Jahren treibt Widodo die Arbeit verschiedener Netzwerke im asiatischen Raum voran, die sich, wie beispielweise das 2015 gegründete mASEANa (modern ASEAN
architecture) Project, einer Aufarbeitung insbesondere der südostasiatischen Architekturmoderne widmen und damit zur Korrektur der Geschichtsschreibung beitragen (siehe hierzu den Beitrag auf Seite 12–15). Fletchers Buch konzentriert sich auf die europäische Architektur von der Romanik bis zur Renaissance, erwähnt aber auch die Bauten der britischen Kolonien und der USA als „historische Stile“. Die Architektur Indiens, Chinas und Japans wird dagegen den „nicht-historischen Stilen“ zugeordnet. Diese limitierte und stark kolonialistische Perspektive visualisierte er 1905 mit einem Stammbaum der Architektur, in dem die überlegene europäische Baukultur in der üppigen Baumkrone verortet ist, während die Architekturen der restlichen Welt auf abgestorbenen Seitentrieben dargestellt sind.
Fletchers Position ist dabei kein Einzelfall, die Liste ließe sich beliebig bis zu Standardwerken des ausgehenden 20. Jahrhunderts fortsetzen – etwa Kenneth Framptons Die Architektur der Moderne von 1983 oder Leonardo Benevolos Geschichte der Stadt von 1980 –, die zwar einen global-universalistischen Deutungsanspruch erheben, tatsächlich aber viele Orte und Kontexte, so auch die südostasiatische Region, in ihren Betrachtungen vollständig ignorieren.
Vorgetragen hatte Johannes Widodo seine Kritik im August 2019 auf dem Symposium Encounters with Southeast Asian Modernism in Berlin, bei dem neben ihm eine Reihe weiterer Architekt*innen, Historiker*innen, Künstler*innen und Kurator*innen aus Südostasien unserer Einladung gefolgt sind, um über den Umgang mit der Architekturmoderne in Deutschland und Südostasien sowie über ihre Verflechtungen mit globalen und lokalen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu diskutieren. Das Symposium war der Auftakt unseres mehrjährigen Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Forschungsprojekts, das wir mit kuratorischen Partner*innen in Jakarta/Indonesien, Phnom Penh/Kambodscha, Singapur und Yangon/Myanmar als tatsächliche Begegnungen, wie der Projekttitel schon aussagt, konzipiert hatten. Im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2019 bot das Projekt in den vier genannten Städten eine Plattform für den Austausch zwischen Fachleuten und Interessierten vor Ort. Doch warum haben wir, die wir uns in unterschiedlichen Konstellationen schon seit längerer Zeit mit der Region oder den hier behandelten Themen beschäftigt haben, dieses Projekt überhaupt initiiert?
Als sich das Bauhausjubiläum 2019 näherte, war das für uns die Gelegenheit, die aus unserer Sicht ebenso spannende wie in diesem Kontext längst überfällige Auseinandersetzung mit der Architekturmoderne in Südostasien voranzutreiben und einem breiteren Publikum vorzustellen. Vor Ort – in den Ländern Südostasiens – ist die postkoloniale Architekturmoderne heute ein oftmals kontrovers diskutiertes Thema. In Deutschland und Europa hingegen ist sie kaum präsent. Diese Lücke gilt es zu schließen, nicht zuletzt deshalb, weil dort aktuell erstaunlich ähnliche Diskussionen um das baukulturelle Erbe der Moderne geführt werden wie hier.
Die Frage, wie man sich als Westeuropäer in einem Projekt positioniert, das Kolonialismus und Postkolonialismus in Südostasien thematisieren möchte, ohne Hierarchien zu reproduzieren, unterliegt der ständigen Reflexion innerhalb des Teams. Nicht immer funktioniert das reibungsfrei. Nicht zuletzt vermittelte Farid Rakun, Mitglied des kuratorischen Teams aus Jakarta, mit seiner Präsentation beim Symposium konkrete Ansätze für eine neue, gemeinschaftliche Praxis. Unter dem Titel „De-Modernising the School in Practice“ sprach er über die Konzepte von ruangrupa und der von ihnen mit ins Leben gerufenen Gudskul. Rakun erläuterte, wie diese Initiativen im Sinne von „Ökosystemen“ kollektiv geführt werden und versuchen, etablierte Denkstrukturen zu dekonstruieren, um neues Wissen zu ermöglichen (siehe hierzu das ARCH+ features).
An der etablierten Erzählung einer Architekturmoderne, die vom Westen aus ihren weltweiten Siegeszug antrat, hatten beim 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses bereits einige Projekte wie bauhaus imaginista und projekt bauhaus (siehe hierzu ARCH+ 222, 230, 234) gerüttelt. Encounters with Southeast Asian Modernism verfolgte einen eigenen Ansatz. Nicht der Lebensweg von Studierenden, berühmten Lehrern des Bauhauses oder deren künstlerisches und architektonisches Erbe standen im Fokus. Dreh- und Angelpunkt der Betrachtungen waren politische und gesellschaftliche Umbrüche als Katalysatoren von Veränderungen, wie es sich in Deutschland sowohl am Beispiel des Bauhauses in der Weimarer Republik und in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten beobachten lässt. Aber auch in vielen Ländern Südostasiens, als die Kolonien und Protektorate Frankreichs, Großbritanniens und der Niederlande ihre Unabhängigkeit erlangten, führten die Umbrüche zu neuen Gestaltungsvorstellungen. Die jungen Staaten standen in dieser historischen Situation vor der Aufgabe, sich als neue Nationen im internationalen Kontext zu etablieren. Oft war dies von dem Wunsch begleitet, diesem Neuanfang durch Architektur und Stadtplanung Ausdruck zu verleihen. In der Architektursprache der internationalen Moderne fanden viele Länder eine Form, die ihre Hoffnungen auf Fortschritt und Wohlstand widerspiegelte und gleichzeitig ihre Emanzipation von der ehemaligen Kolonialherrschaft signalisierte.
Bei der auf das oben genannte Symposium folgenden Tour waren die Expert*innen aus Südostasien auch weniger von den Ikonen der Moderne in Dessau und Berlin angetan als vom Aufeinandertreffen mit den Aktivist*innen und Initiativen, die sich aus unterschiedlichen Motiven für den Erhalt und die Wiederbelebung insbesondere der Nachkriegsmoderne einsetzen. Ein Ort, der dabei einen besonderen Eindruck machte, war das Haus der Statistik am Alexanderplatz in Berlin, in dem für 2021 die Ausstellung Contested Modernities geplant ist.
Das Haus der Statistik stellt einen direkten inhaltlichen Bezug zum Thema und zu den architektonischen, künstlerischen und aktivistischen Ansätzen der Kooperationspartner in Jakarta, Phnom Penh, Yangon und Singapur her. Es wurde um 1970 als im Zentrum der Stadt gelegenes administratives und repräsentatives Gebäude der DDR errichtet. Nach der Wiedervereinigung stand es viele Jahre leer und war vom Abriss bedroht. Durch zivilgesellschaftliches Engagement und eine aufgeschlossene Politik und Verwaltung konnte dies verhindert werden. Aktuell wird das Gebäude für Ausstellungs- und Veranstaltungsformate genutzt. In diesem Modellprojekt verbinden sich zukünftig Kunst, Kultur, Soziales und Bildung, bezahlbares Wohnen sowie ein neues Rathaus und Verwaltungsnutzungen. Die Geschichte und die zukünftige Entwicklung des Gebäudes eröffnen beispielhafte Ansätze zum Austausch über Erkenntnisse und Praktiken der Initiativen, die sich in Südostasien für den Erhalt und die Neuprogrammierung von Bauten der Moderne einsetzen.
II. Phnom Penh, Jakarta, Yangon, Singapur
Jedes der beteiligten kuratorischen Teams setzte sich im Rahmen von Encounters with South East Asian Modernism auf unterschiedliche Weise mit der Bedeutung und dem Erhalt von Architekturen der Moderne auseinander. Der Auftakt des Programms in Südostasien fand im September 2019 in Phnom Penh, Kambodscha, mit der von Vuth Lyno und Pen Sereypagna kuratierten Ausstellung Folding Concrete statt. Der Titel verweist auf drei Aspekte der kambodschanischen Moderne: auf die neuen Möglichkeiten der Gestaltung, welche die aus dem Westen importierte Bautechnik in den 1960er-Jahren eröffnete; auf die vielfach gefalteten Bauteile, die zu einer Art Wahrzeichen der kambodschanischen Moderne geworden sind; und auf weniger lineare, multiple Ansätze, die sich aus Tradition und Moderne entwickelten. Das transdisziplinäre Konzept der Ausstellung steht dabei prototypisch für die Encounters, der sich auch in diesem Heft manifestiert.
Neben künstlerischen Arbeiten, Rechercheprojekten und Aufmaßen von Bauten der Moderne war ein zentrales Thema das sogenannte White Building in Phnom Penh, ein Wohnungsbau aus den 1960er-Jahren, dessen Geschichte Parallelen zum Haus der Statistik in Berlin aufzeigt. Es entstand in einem politischen System, das heute nicht mehr existiert, und der Abriss stand lange zur Debatte. Anders als beim Haus der Statistik wurden die Stimmen der Bewohner*innen sowie vieler Architekt*innen und Künstler*innen jedoch nicht gehört und das Gebäude 2017 tatsächlich beseitigt. Vuth Lyno und Pen Sereypagna kuratierten über viele Jahre gemeinschaftsbasierte Projekte im White Building, aus denen wiederum weitere Initiativen entstanden (siehe hierzu die Beiträge auf Seite 50–51 und 66–69).
Auch Occupying Modernism in Jakarta, Indonesien, kuratiert von Avianti Armand, Setiadi Sopandi mit Rifandi S. Nugroho, basierte auf einem künstlerischen Forschungsansatz: Ein Comiczeichner, eine Grafikdesignerin, ein Produktdesigner und ein Maler, Publizist und Schriftsteller warfen einen subjektiven Blick darauf, wie sich die Menschen in Indonesien Gebäude der Moderne aneignen. Dieses Vorgehen ermöglichte es, die gängige Gegenüberstellung im Architekturdiskurs zu überwinden, so Sopandi. In seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung stellte er die These auf, dass die Geschichtsschreibung der Architektur (in Indonesien) schon immer in Dualismen formuliert wurde: modern vs. traditionell, kolonial vs. nicht-kolonial, links vs. rechts, urban vs. ländlich, national vs. fremd (siehe hierzu den Essay auf Seite 88–95). Dieses Schwarz-Weiß-Denken zieht sich durch die gesamte Geschichte, spätestens seit der Exotisierung lokaler Baumethoden durch niederländische Kolonialausstellungen. Er fand aber auch im Kampf um die Unabhängigkeit statt, bei dem die koloniale Architektur angegriffen wurde. Während diese Dualismen in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit unter Präsident Sukarno nachließen, traten sie unter dem autoritären New-Order-Regime von Suharto Ende der 1960er-Jahre wieder in den Vordergrund.
Parallel dazu initiierten Farid Rakun, JJ Adibrata und Grace Samboh mit Hyphen — ein Projekt an der Gudskul in Jakarta unter der Frage From, by, and for whom?, das die Abhängigkeit von Politik, Kunst, Architektur und Gestaltung thematisiert. Im Mittelpunkt standen die Dioramen des Künstlers Edhi Sunarso, in denen dieser Schlüsselszenen der indonesischen Geschichte darstellte. Sie sind wichtige Elemente der Volksbildung in Denkmälern und Museen und tragen damit zur Verbreitung eines ebenso idealisierten wie politisch motivierten Geschichtsbildes bei. Dies trifft auch auf die Dioramen im von Sukarno beauftragten Nationaldenkmal auf dem Merdeka-Platz in Jakarta zu. Nach der Machtübernahme Suhartos wurde das Werk von Sunarso weiterentwickelt, nunmehr nach den Vorgaben des New Order Regimes. Bis heute sind die Dioramen fester Bestandteil des Besuchsprogramms von Schulklassen, Familien und Touristen. Im Rahmen eines von Grace Samboh geleiteten Seminars entwickelten Studierende Podcasts, die die politischen Dimensionen der Dioramen offenlegen und mit heutigen Themen konfrontieren (siehe hierzu den Beitrag auf Seite 100–103).
Die Umsetzung der Ausstellung Synthesis of Myanmar Modernity in Yangon, Myanmar, war von einer – bereits vor den aktuellen Geschehnissen – komplexen politischen Lage geprägt. Jahrzehntelang, so führten es die kuratorischen Partner*innen Ma Pwint, Professorin an der Architekturfakultät der Technischen Universität Yangon, und Win Thant Win Shwin, Architekt und Planer in Mandalay und Yangon, aus, sei es um die Architektur und Stadtplanung der Moderne in Myanmar still gewesen. Seit der Öffnung des Landes zur Demokratie 2011 jedoch wachse das Interesse an dieser Epoche und ihrer Architektur. Eine junge Generation, so die beiden weiter, frage nach der historischen Bedeutung und dem aktuellen Wert des architektonischen Erbes. Aber in einer multiethnischen Gesellschaft, mit einer Bevölkerung, die Hunderte verschiedene Dialekte spricht, ist die Neuverhandlung der modernen Architektur eine große Herausforderung.
Trotz der schwierigen Situation ermöglichten uns Pwint und Win Thant Win Shwin vor Ort den Besuch von Gebäuden, die für Externe kaum zugänglich sind und bislang weder in der nationalen noch der internationalen Architekturgeschichtsschreibung thematisiert wurden. Die vielversprechenden Entwicklungen, die sich im Laufe des Projektes andeuteten, erlitten jedoch mit dem unerwarteten Tod von Pwint im Januar 2020 einen traurigen Rückschlag. Und mit der erneuten Machtergreifung des Militärs durch den Putsch am 1. Februar 2021 steht die ohnehin fragile Demokratieentwicklung erneut auf dem Spiel. Die Zukunft ist ungewiss, und zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes ist es völlig unklar, ob und wie diese so bereichernde Kooperation fortgeführt werden kann. Denn klar ist, dass die Diskussion einiger Bauten hier im Heft oder die von dem Filmemacher Christopher Chan Nyein im Rahmen des Projekts 2019 eingefangenen und hier abgedruckten Interviews mit zwei Architekten aus Myanmar nur einen ersten Einblick in eine komplexe Architekturgeschichte geben können, um damit weitere Forschung zu ermutigen.
In Singapur fokussierte das kuratorische Team um Johannes Widodo und Nikhil Joshi unter Leitung von Ho Puay-Peng, alle von der National University of Singapore, in der Ausstellung Housing Modernities auf die frühen Siedlungen der Moderne sowie einige programmatische Bauten: etwa die beiden multifunktionalen Großbauten People’s Park Complex und Golden Mile Complex, deren Zukunft ungewiss ist. Seit Anfang der 1960er-Jahre, als das Housing and Development Board (HDB) unter der Führung der People’s Action Party etabliert wurde, flankierte man den wirtschaftlichen Aufstieg mit öffentlichen Wohnbauprogrammen. Das Ziel, für die gesamte Bevölkerung angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wurde schnell erreicht. Seit Jahren läuft allerdings ein Verdrängungsprozess, bei dem die frühen Quartiere und auch ikonische Einzelbauten vom Abriss bedroht sind.
Neben dem Schwerpunkt Housing Modernities thematisierte das abschließende Symposium am Centre for Contemporary Art (CCA) die aktuellen Perspektiven auf das Narrativ der Moderne, die die Ausstellungskurator*innen entwickelt hatten und hier zur Diskussion stellten.
Neben Tay Kheng Soon (siehe hierzu das Interview auf Seite 196–201) sind William S. W. Lim und Lim Chong Keat zwei weitere Schlüsselfiguren der Architekturentwicklung in Singapur, aber auch der weiteren Region. Die Arbeiten von Lim Chong Keat stellte Shirley Surya, Kuratorin für Design und Architektur am M+ Museum in Hongkong, anhand der Sammlung des Museums vor (siehe hierzu den Beitrag auf Seite 202–213). Sein internationales Netzwerk, zu dem auch Buckminster Fuller gehörte, und ein weit über die Disziplin Architektur hinausgehendes Interesse prägten seinen Zugang zur Kultur und Gestaltung. Ähnliches gilt für William S. W. Lim, der für die Kuratorin Ute Meta Bauer, die seit 2014 das CCA an der Nanyang Technological University in Singapur als Gründungsdirektorin leitet, eine zentrale Bezugsperson ihrer international und transdisziplinär ausgerichteten Arbeit ist (siehe hierzu das Interview auf Seite 214–219).
Die Diskussion im Rahmen des Symposiums am CCA zum Abschluss der Veranstaltungstour im Dezember 2019 verdeutlichte noch einmal die Bedeutung des interdisziplinären und regionalen Austauschs. Jeder der besuchten Orte hat eine eigene Geschichte und eine Erzählung, die für sich selbst steht und durch die Verwendung des geografischen Konstrukts „Südostasien“ eher verunklärt als vermittelt wird. Die unterschiedliche(n) Geschichte(n) spiegeln sich nicht zuletzt in den ganz verschiedenen Beiträgen der Kurator*innen und den Räumen, in denen die Ausstellungen und Veranstaltungen stattfanden. In Phnom Penh trafen sich viele junge und kulturell interessierte Menschen in einem frisch renovierten, sonst nicht zugänglichen Apartment eines Kunstsammlers in der oberen Etage eines typischen Wohngebäudes im Chinesischen Viertel, das er zur Verfügung stellte. In Jakarta war das Projekt zum einen in der von ruangrupa mitinitiierten Gudskul und zum anderen in dem vom renommierten Architekten Andra Matin entworfenen Café und Kulturtreffpunkt Kopi Manyar präsent. Das Goethe-Institut Yangon war Gastgeber der Ausstellung und des begleitenden Symposiums in Myanmar. In Singapur gab es wiederum zwei Orte: die staatliche Urban Redevelopment Authority (URA) für die Ausstellung und das CCA für das abschließende Symposium.
Jeder Ort, jede Situation mit ihren Besonderheiten benötigt eine spezifische und kritische Betrachtung, um das kulturelle und architektonische Erbe im Hier und Jetzt anzubinden. Dabei ist es auch notwendig, ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Ländern zu entwickeln, das die vorherrschende westliche Perspektive herausfordert. Noch scheint das nicht einfach zu sein, denn, so zumindest Grace Sambohs Einschätzung, seien die Länder noch zu stark mit der Verhandlung ihrer eigenen Geschichte beschäftigt, um den Blick über die Landesgrenzen werfen zu können. Doch Netzwerke wie das 2015 gestartete Projekt mASEANa leisten über Grenzen hinweg bedeutende Arbeit.
In der Ausstellung im Haus der Statistik werden im Herbst 2021 die Positionen der Kurator*innen aus Südostasien zusammengeführt, um die Ansätze zusammenzubringen, einander gegenüber zu stellen und die transnationale Zusammenarbeit zu intensivieren.
III. Contested Modernities
Der für die Rückspiegelung der Arbeit gewählte Titel „Contested Modernities“ bezieht sich auf einen Vortrag von Vuth Lyno beim Eröffnungssymposium 2019 in Berlin. Mit „Exhibiting the Contested Modern in Cambodia“ beleuchtete er den Kampf um die Deutungshoheit im Moderne-Diskurs und seine Versprechen in Kambodscha anhand einer Analyse mehrerer Ausstellungen, die zwischen 1955 und 1967 in Phnom Penh stattfanden und die Vorzüge und Errungenschaften der modernen Welt propagierten. Basierend auf den vielen Diskussionen, die wir im Rahmen der Begegnungen in Deutschland und Südostasien geführt haben, schien uns dieser Begriff geeignet, den Stand der Auseinandersetzung um die (nicht nur) südostasiatischen Modernen in ihrer Bandbreite abzubilden.
„Contested“ – der Begriff ist übersetzbar mit umstritten, umkämpft, angefochten oder auch angezweifelt. Hier bezieht er sich einerseits auf die historische Situation, den Kampf um die Unabhängigkeit vieler Länder in der Region und den damit einhergehenden Modernisierungsprozess, das komplexe Wechselspiel aus Ablösung und fortdauernder Abhängigkeit der jungen Nationen von den ehemaligen Kolonialmächten (siehe hierzu z. B. die Beiträge von Benjamin Bansal, Michael Falser und Moritz Henning in dieser Ausgabe) und die mit der Unabhängigkeit geweckten Begehrlichkeiten der Supermächte nach Einfluss in der Region unter den Vorzeichen des Kalten Krieges. Andererseits sind damit auch die auf die Unabhängigkeit folgenden politischen Umbrüche gemeint, wie sie beispielsweise die anti-urbane und anti-moderne Haltung der Roten Khmer in Kambodscha mit sich brachte oder die Militärdiktatur in Myanmar (damals noch Burma) – und nicht zuletzt die sich auch hier im Heft widerspiegelnde Frage um die Deutungshoheit für eine selbstbestimmte Ausleuchtung der eigenen Architekturgeschichte. Und natürlich bezieht sich der Begriff auch ganz konkret auf den vielerorts drohenden Verlust von wichtigen Bauten der Moderne aufgrund der rasanten Urbanisierungsprozesse in vielen asiatischen Metropolen und der oft mit politischen Richtungswechseln Hand in Hand gehenden Neubewertung der eigenen (Bau-)Geschichte.
„Contested“ bezieht sich schließlich auch auf den Begriff der Moderne selbst, impliziert dieser doch einerseits eine historisch nicht vorhandene Einheitlichkeit der Bewegung der Moderne, wie ihm auch regelmäßig eine Lesart zu Grunde liegt, nach der die (in diesem Zusammenhang ausschließlich positiv konnotierte) Moderne als westliche Bewegung entstand und dann als zivilisatorisches Projekt in andere Regionen „exportiert“ wurde. Die Vielfalt der architektonischen, politischen und sozialen Momente der Moderne in der Region zeigen mehr als deutlich, dass eine Revision dieser Sichtweise nötig ist.
Für die Ausstellung in Berlin ist es uns wichtig, auch einen Blick auf die Rolle Deutschlands im Modernisierungsprozess in der Region zu werfen. In einem forschenden Rückblick unseres Teams wird das komplexe Verhältnis von BRD und DDR deutlich, welches auch seinen Niederschlag in der „Entwicklungshilfe“ und in der „Sozialistischen Solidarität“ im fernen Südostasien fand. Denn obwohl Deutschland dort keine Kolonie besaß, gab es verschiedenste Berührungspunkte mit der Region, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts manifestierten. Angehende Architekt*innen aus Indonesien studierten in Westdeutschland, während Studierende aus Myanmar in Ostdeutschland ausgebildet wurden. Der während der NS-Zeit aus Deutschland emigrierte Architekturhistoriker Julius Posener trug in den 1950er-Jahren in Malaysia dazu bei, die Architekturfakultät in Kuala Lumpur aufzubauen, bevor er nach Berlin zurückkehrte (siehe hierzu den Beitrag auf Seite 16–23). Während die DDR beim Wiederaufbau der im Vietnamkrieg zerstörten Städte half, engagierte sich die Bundesrepublik Deutschland mit baulichen Entwicklungshilfeprojekten in Südvietnam und Kambodscha (siehe hierzu die Kartierung auf Seite 24–27). Deutlich wird dabei, dass die Projekte nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aus geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen in Angriff genommen wurden. Bereits in der ARCH+ 226 wurde von Christina Schwenkel anhand des von der DDR unterstützten Wiederaufbaus der im Vietnamkrieg zerstörten Stadt Vinh das Spannungsfeld zwischen den rationalistischen Ideen der deutschen Architekt*innen, den kulturspezifischen Wünschen der Bewohner*innen und den gesellschaftlichen Modernisierungskonzepten der Regierung behandelt.
Dass dabei die Positionen westlicher Architekten nicht immer auf ungeteilte Gegenliebe stießen, verdeutlicht ein schriftliches Streitgespräch zwischen Julius Posener und dem malaiischen Architekten Lim Chong Keat. Auszüge aus deren über mehrere Beiträge in Architekturmagazinen geführtem Disput finden sich im Essay von Eduard Kögel in diesem Heft wieder und sollen auch in der Ausstellung eine wichtige Leseebene eröffnen, denn er verdeutlicht exemplarisch die Auseinandersetzung um architektonische Moderne und politische Realität im Umbruch zur Selbstbestimmung.
Dieses Heft ist als zusammenfassende und ergänzende Publikation von Encounters with Southeast Asian Modernism und Contested Modernities in enger Zusammenarbeit mit der Redaktion von ARCH+ und ihren eigenen kritischen Sichtweisen entstanden und dokumentiert und erweitert unseren über mehrere Jahre und Länder laufenden Forschungsprozess. Unserem Ansatz liegt dabei das Anliegen zu Grunde, mit den Architekt*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Kurator*innen und Aktivist*innen, die sich in Südostasien für den Erhalt und die Neuprogrammierung der Architekturmodernen in ihren Städten einsetzten, auch langfristig einen gemeinsamen, internationalen Diskursraum zu schaffen, in dem lokale urbane Praktiken miteinander vernetzt werden und Narrative über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Modernen korrigiert, erweitert oder überhaupt erst erschaffen werden.weiterlesen
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