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Das bewegte Buch

Ein Katalog der gelesenen Bücher

Produktform: Buch

Bücher gehören immer noch notwendig zu unserer Vorstellung vom Lesen und unserer Idee von Literatur. Doch warum? Das Buch ist eine paradoxe Form: bewegbar und stabil, dynamisch und konstant, in sich vielseitig und von außen abgeschlossen, recycelbar und ewig, begreifbarer Stellvertreter selbst flüchtigster Imaginationen und dunkelster Ideen. Es ist in der Flut der Schriftzeichen das Gegenstück zum Rahmen im Meer der Bilder. Es hegt ein und grenzt aus, bewahrt und verdichtet, organisiert eine grafisch bestimmte Materie durch Zusammenbinden und Einschlagen und erlaubt, seitdem es die Möglichkeit zur Reproduktion dieser Materie gibt, deren Verbreitung. Text und Buch sind nicht identisch und auch keine feste, gegebene Verbindung. Mit dem Buch aber wird der Text konkret. Er hat mit ihm einen Körper, ein Außen und ein Innen, Anfang, Mitte und Ende: jenes abgegrenzte Territorium mit seinen Winkeln, in denen ein Leser sich auf Zeit durchaus verlieren und in dem der Text als Präparat erscheinen kann, mit einer sichtbaren Struktur an Vorzeichen und Rückverweisen. Bücher bergen für uns reale Räume – auf einer Seite, in einer Seite, mit einer Seite und zwischen den Seiten. Sie sind Schwelle, Nische, Rand, Falte, Höhle, Kiste, Tresor, Koffer und Handtasche, Tür, Fenster, Gang und Haus, Bühne und Museum, Garten und Welt, Wolke und Loch. Sie sind Gegenstände, können Mobiliar sein und Tapete, Fremde, Begleiter, Mitbewohner, Geliebte. Sie beflügeln und machen sesshaft, sind (schwere) Kinder des Baumes und (leichte) Geschwister der Luft. Das Buch ist unsere nüchtern-kleine, ironische Form für Seelenwanderungen, Emanationen, Meditationen, Metamorphosen, Enthusiasmen und Ekstasen: Körperspur toter Geister, Indiz eines großen Werks, Versprechen einer gesteigerten Geistesgegenwart, Gedächtnisgarantie und – all diesem zum Trotz – memento mori, theoretisch zumindest Makulatur, nichts als Papier. Die Marbacher Ausstellung und der Katalog dazu zeigen keine Erst-, Pracht- und Vorzugsausgaben und keine besonders schönen oder besonders wertvollen Büchern aus den Marbacher Beständen. Sie zeigt die gelesenen Bücher. Wir haben dafür die Autorenbibliotheken durchforstet und die großen Marbacher Sondersammlungen: die historischen Leihbüchereien, Heftchen- und Abenteuerromanreihen und die Bibliotheken von Institutionen, die für Michel Foucault zu den Systemen sozialer »Einschließungen« gehören, die rekonstruierte Bibliothek eines Lazaretts und die übernommene Leihbücherei eines Gefängnisses. weiterlesen

Dieser Artikel gehört zu den folgenden Serien

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-944469-13-3 / 978-3944469133 / 9783944469133

Verlag: Deutsche Schillerges.

Erscheinungsdatum: 06.11.2015

Seiten: 188

Autor(en): Heike Gfrereis, Klaus Pias

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