Das Ventil
Der politische Witz in der DDR
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Die Wissenschaft von der Herkunft und Geschichte der Wörter und ihrer Bedeutungen, die Etymologie, hat ihren Ursprung schon bei den alten Griechen.
Vieles hat dort anscheinend seinen Anfang gefunden, so auch der Witz. Vor allem sollte der Witz dazu dienen, den Redner bei der Argumentation zu unterstützen.
Das Wort Witz hat seinen Ursprung in dem indogermanischen vid, von welchem beispielsweise auch das griechische ἰδέα und das lateinische videre abstammen. Von der Wortherkunft war der Witz ein heller, lebendiger Verstand.
Schon damals dienten Witze als Werkzeug der friedlichen Rebellion. Sie trafen Könige, Pharaonen, aber auch einfache Eseltreiber.
Befreiung für den Augenblick – mit Risiko behaftet die Folgen
In Diktaturen ist der Witz das Ablassventil der Benachteiligten, der Unterdrückten, der unter einem System leidenden Menschen. Für sie wirkt er wie ein Medikament, das für den Augenblick erleichtert und entspannt. Das gilt für den unter vorgehaltener Hand Erzählenden wie für den Zuhörenden. Die Knebel und Fesseln der Diktatoren und ihrer Systeme werden aufs Korn genommen. Beide, der Erzählende wie auch der Zuhörende und Weitergebende, sind dabei einer Gefahr ausgesetzt, der Gefahr der Denunziation. In der Diktatur stellt der politische Witz bezugnehmend auf das System und seine Vertreter ein Risiko dar.
Es sind keine Einzelfälle, dass Witz-Erzähler mit erheblichen Strafen rechnen mussten. Im Strafgesetzbuch der DDR im Paragraphen für „Öffentliche Herabwürdigung (§ 220)“ wird folgendes angedroht:
Der Paragraf 220 des Strafgesetzbuches von 1968 bestraft die öffentliche Herabwürdigung staatlicher Organe oder gesellschaftlicher Organisationen, das Tragen von Symbolen, die die öffentliche Ordnung und das sozialistische Zusammenleben beeinträchtigen können oder die gesellschaftliche Ordnung verächtlich machen, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
Auch der Paragraph Staatsfeindliche Hetze (§ 106) war ein Einschüchterungsversuch, unliebsame Äußerungen unter Strafe zu stellen. In der DDR als Staatsverbrechen eingestuftes Delikt (§ 106 StGB, ursprünglich „Boykotthetze“), das in weit gefassten Rechtsbegriffen unter anderem den Angriff oder die Aufwiegelung gegen die Gesellschaftsordnung der DDR durch „diskriminierende“ Schriften und Äußerungen unter Strafe stellte. Unter dem Vorwurf der „staatsfeindlichen Hetze“ wurden viele Oppositionelle der DDR verhaftet, insbesondere weil die Formulierungen des Paragraphen so offen gestaltet waren, dass beinahe jede kritische Äußerung unter Bezug auf diesen Artikel geahndet werden konnte.
Der Paragraf 106 des Strafgesetzbuchs von 1986 bestraft „staatsfeindliche Hetze“ mit einem Freiheitsentzug zwischen zwei und zehn Jahren.
Wem kann ich Was erzählen, war also immer geboten. Heikle Dinge, dazu gehörte der politische Witz, konnten nicht lauthals geäußert werden, sondern nur gedämpft an „vertrauenswürdige Ohren“ weitergegeben werden. Es waren die sogenannten Flüsterwitze unter vorgehaltener Hand.
Der Flüsterwitz ist ein politischer Witz, der von Mund zu Mund weiter erzählt wird, in totalitären und autoritären Staaten verbreitet ist und sich besonders gegen die Machthaber beziehungsweise bestimmte Aspekte des Systems wendet. In der Regel wird das Verbreiten von Flüsterwitzen von den totalitären Systemen mit Strafe und oder beruflichen Nachteilen geahndet. Flüsterwitze sind ein Phänomen des 20. Jahrhunderts und entstanden mit dem Ausbau der totalitären Systeme während des Nationalsozialismus in Deutschland und nach dem Krieg in der SBZ und der ihr folgenden DDR.
Erzählte man in der Zeit des Nationalsozialismus einen Flüsterwitz und wurde denunziert oder von der Gestapo erwischt, musste man mit einer Anzeige oder Verhaftung rechnen. In einigen Fällen wurden die Beschuldigten auch vor Gericht verurteilt. Als Begründung wurde entweder Beleidigung, ein Verstoß gegen das „Heimtückegesetz“ oder später auch Wehrkraftzersetzung herangezogen. Vor Ende des Krieges konnte das tödlich enden. Folgender Witz aus dieser Zeit, der den Arier-Wahn aufs Korn nahm: Die Merkmale der arischen Rasse – so blond wie Hitler, so schlank wie Göring und so sportlich wie Goebbels – das hätte Zuchthaus und KZ und in der Endphase des Systems ein Todesurteil bedeutet.
Flüsterwitze in der SBZ und der DDR blieben aufgrund der Unfreiheiten dem Bürger einzig und allein als Möglichkeit des politischen Protestes. In den ersten Jahren dominierten hierbei unter anderem die Themen Antikommunismus, Antistalinismus, Mangelwirtschaft, Reparationen, Verbot der freien Meinungsäußerung. So war es auch hier üblich, die Witze im Flüsterton und unter vorgehaltener Hand weiterzugeben. Schließlich konnten politische Witze in der SBZ und in den Anfangsjahren der DDR als „Antisowjethetze“ oder „Sabotage des sozialistischen Aufbaus“ ausgelegt und mit Zuchthausstrafen belegt werden. Diese erste Phase des politischen Witzes in der DDR dauerte bis zum Bau der Berliner Mauer, der zwar die Unfreiheit erhöhte, aber den DDR-Staat stabilisierte. Mit der zunehmenden Entspannungspolitik besänftigte sich auch der politische Witz und infolgedessen auch die verhängten Strafen. Der Staat bemühte sich sogar mit der Satirezeitschrift Eulenspiegel einen „amtlich geförderten Witz“ zu fördern. Da dabei aber nur Randerscheinungen der innerstaatlichen Probleme angesprochen wurden, existierte weiterhin der freie Witz, der auch die Tabus Regierung, Partei, Staatssicherheit, Militär, Unfreiheit und Staatsgrenze nicht ausließ. Das Kabarett in der DDR hatte wiederum genau diese Tabus zu beachten. Der offizielle Humor in der DDR stand unter der steten Kontrolle von Kulturfunktionären, die ein Programm vor Veröffentlichung abnehmen mussten. So lernte das Publikum mit den Jahren „zwischen den Zeilen zu lesen“. Letztlich war der Witz in der DDR eine Reaktion auf den Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit eines sozialistischen Staatswesens. Und so war der politische Witz und auch die Repression in der DDR stärker ausgeprägt als in der BRD. Folgender Witz aus dieser Zeit beinhaltet daher eine tragische Realität:
Walter Ulbricht fragt Willy Brandt, ob er ein Hobby habe. „Natürlich“, sagt dieser, „ich sammle Witze, die die Leute über mich erzählen. Und Sie?“ – „Bei mir ist es umgekehrt. Ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen.“
In den Diktaturen ist es nach wie vor ratsam den Flüsterton zu benützen, um die personelle Ermittlung der Quelle mit folgenden Repressalien auszuschließen.
Wie ist das heute mit dem Witz – Witze, wie entstehen sie?
Humor und Kritik, die auf Politik abzielen, sind schon ewig sehr beliebt. Wer denkt sich die überraschenden Wendungen und Pointen aus, die einen gelungenen Witz ausmachen? Es sind längst nicht nur Gagexperten, aber Gagschreiber modifizieren meistens nur bereits vorhandene Witze. Aus Kohl-Witzen werden Schröder-Witze und daraus wiederum Schwarzenegger-Witze. Urheber sind nicht zu ermitteln. Urheberrechte können nicht erhoben werden. Ich denke, die Urheber für den Witzinhalt sind die im Witz beschriebenen Zustände und ihre aufs Korn genommenen Akteure selbst. Der Witz verhält sich zu seinem Erfinder wie ein Ei zur Henne. Was zuerst kam – Ei oder Henne – weiß man eben nicht.
Es gibt sozusagen Witzeprofis, die sich Sprüche oder Geschichten ausdenken. Vieles, was wir einmal als Witz hören, ist aber spontan aus Lebensmomenten entstanden und wird dann als Witz weitererzählt. Durch unterschiedliche Erzählweisen entstehen auch wieder neue Witze.
Die meisten Witze werden nicht erfunden, sondern geboren. Das Leben gibt den Anlass, die Schadenfreude den Rest. Ich gehe davon aus, dass die guten Witze nicht unbedingt erfunden werden, sondern aus einer Situation entstehen.
Die Internationale der Zyniker und Kritiker und das Leben und sein Alltag bieten den Stoff für Witze. Werden sie erfunden? Ich glaube nicht. Witze sind nur Abbilder der Realität. Fast alle haben einen Hintergrund, den Hintergrund der Geschichte, des Weltgeschehens oder des Alltags, manchmal ein wenig ausgeschmückt und übertrieben natürlich. Was könnte so lustig – oder auch traurig – sein wie das Leben und die mit ihm selbst gemachten Erfahrungen?
Auch bei öffentlichen Veranstaltungen von Germanisten, Satirikern, Komikern und ganz allgemein von Feinden der aufs Korn genommenen Spezies benutzen sie die Geschichte und Erlebtes und bringen an passender Stelle im rhetorischen Ablauf die Pointe, einen geistreichen, auch komischen, lustigen, oft auch mit Häme behafteten Vergleich an.
Am Stammtisch erzählt jemand eine lustige Geschichte. Dem Nächsten fällt hierzu eine überraschende Wendung ein. Solche Witze gehen vom Biertisch aus und heute mit Hilfe modernster Kommunikationstechnik in Sekundenschnelle um die ganze Welt.
Witze verbreiten sich heute rasend schnell über das Internet. Witze werden im Netz gelesen und einen Tag später hört und sieht man sie im Fernsehen.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie Witze entstehen. Bei einigen Radio- oder Zeitungsredaktionen gibt es Mitarbeiter, die für Comedy und Witz zuständig sind. Berufliche Witzeerfinder sind auch die Kabarettisten. Manch ein Gag auf der Bühne wurde zum bekannten Witz in den unterschiedlichsten Variationenweiterlesen
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