Ludwig Tiecks Märchen »Der blonde Eckbert« gilt als erstes Kunstmärchen der Romantik und gehört heute zu den berühmtesten Werken der deutschen Frühromantik. Gelegentlich wird es sogar als dasjenige literarische Werk betrachtet, mit dem die Epoche der Romantik ihren Auftakt nimmt. 1797 wurde es vom Verleger Carl August Nicolai in Berlin erstmalig veröffentlicht. Tieck selbst gab es zusammen mit weiteren seiner Märchen, darunter »Ritter Blaubart« und »Der gestiefelte Kater«, unter dem Titel »Volksmärchen« heraus. 1812 erschien es erneut in Tiecks damals populärer Märchensammlung »Phantasus« (1812–1816).
Der »Phantasus« setzt sich aus Kunstmärchen und sogenannten »Naturmärchen« zusammen. Obwohl Ludwig Tieck zu den wichtigsten Autoren der Romantik gehört, ist diese Sammlung im heutigen Leserbewusstsein weitgehend in Vergessenheit geraten. Sie spielt nur noch in der wissenschaftlichen Tieck-Forschung eine größere Rolle. Immerhin sind die Naturmärchen einem größeren Lesepublikum vertraut als die Kunstmärchen, da sie auf bekannten Sagen und volkstümlichen Stoffen basieren. Zu ihnen gehört zum Beispiel »Der getreue Eckart und der Tannenhäuser« (1799, im »Phantasus« veröffentlicht 1812).
»Der blonde Eckbert« spielt im Mittelalter im Harz. Die beiden Hauptfiguren, Ritter Eckbert und seine Frau Bertha, werden in der Mitte ihres Lebens von einer Schuld aus der Vergangenheit eingeholt. Sie büßen dafür mit dem Tod. In der Binnenhandlung erzählt Bertha von dem begangenen Unrecht. Die Rahmenhandlung schildert, wie sie und ihr Mann zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Konzept des Fantastischen spielt in dem Text eine zentrale Rolle. In der erzählten Handlung verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität unaufhörlich, und ganz bewusst spielt der Autor mit Elementen wie Rahmen- und Binnenhandlung, unterschiedlichen Erzählperspektiven, eingeschobenen Darstellungen von Traumhandlungen, Doppelgängermotiven und Fantasievorstellungen der Figuren. Während es den Lesenden anfangs noch relativ leicht fallen mag, die verschiedenen Wirklichkeitsebenen auseinanderzuhalten, nimmt die Verwirrung mit fortschreitender Handlung zu und wird schließlich zu einem kaum unterscheidbaren Chaos aus realen Geschehnissen, die sich mit Ängsten und Wahnvorstellungen des Protagonisten Eckbert vermengen und in seinem Delirium und Tod münden. In einem Feuilletonbeitrag der FAZ bezeichnet Gerhard R. Koch das Märchen als »veritable[n] Psychothriller« und bescheinigt ihm, dass es »wie wenige andere thematisch und noch mehr erzähltechnisch in schwärzesten Horror« (Koch 35) münde. Dies macht das Märchen ungewöhnlich modern und auch für Leser des 21. Jahrhunderts spannend.
Quelle: Der blonde Eckbert • Märchen von Ludwig Tieck • Lektürehilfe
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