In der italienischen Geschichte gibt es kaum enigmatischere Figuren als Luigi Cadorna. Schon vor dem Krieg wurde er als brillanter Stratege gefeiert, als Nachkomme einer Linie von Helden und Patrioten. Als er 1915 die italienische Armee in den Krieg gegen Österreich-Ungarn führte, wurde er zum Gegenstand eines Personenkults ohnegleichen. Die Medien und nicht wenige Intellektuelle sahen in ihm denjenigen, der Italien zu neuer Größe führen würde, und dieser enorme personenbezogene Konsens schützte ihn vor jeder Kritik. Kurzum, er wurde zum unantastbaren Autokraten. Er lebte in seiner Dienststelle auf der Burg von Udine, von einem loyalen Hofstaat umgeben, von seinen eigenen Offizieren gefürchtet (die er bei der kleinsten Verlautbarung von Kritik entließ) und von den Soldaten verabscheut, die ihn für die sehr hohen Verluste bei den ständigen Angriffen auf die feindlichen Linien verantwortlich machten. Er wurde schließlich nach der Niederlage von Caporetto im Herbst 1917 entlassen und zur Rechenschaft gezogen. Die Politiker und die Medien, die ihn verehrt hatten, machten ihn nun zum Sündenbock für alles, was im italienischen Krieg schiefgelaufen war: die Massaker in den Schützengräben, die so strenge Disziplin, die zahlreichen Erschießungen. Aus dem Idol wurde ein verachtetes Monstrum. Basierend auf Originaldokumenten aus Militär- und Zivilarchiven, erzählt Il Capo die Geschichte Italiens im Krieg anhand der Parabel von Luigi Cadorna. Er war weder ein Genie noch ein Ungetüm, sondern der (nicht einmal außergewöhnliche) Vertreter einer Generation von Waffenprofis, die von der unrühmlichen Vergangenheit, den demütigenden Niederlagen und den Mängeln eines Landes besessen waren, das sie für schwach und undiszipliniert hielten und das sie gerne stark, gefürchtet und aufgeräumt gesehen hätten. weiterlesen