Der Zwölfte Orden. Band II
"Brennende Fahnen der einen Reiche"
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Tyrons Augen leuchteten. In seiner dunkelblauen Iris spiegelte sich die hoch am Himmel stehende Sonne, die stets über Rabona wachte. Keine Brise regte die Luft und der Horizont flimmerte in der unerträglichen Hitze von É-Teaniat. Der Alb schloss die Augen und atmete die Luft der Ghanen-Lande ein, die nach vertrockneten Kiefern, Erde und geräuchertem Fleisch roch. Die Sonne durchschien seine Lider und färbte seinen Blick rot. Rot wie das Blut, das vergossen, oder die Augen einer Frau, die Vergangenheit geworden ist.
Tyron war ganz in Schwarz gekleidet, an seiner Hüfte hing ein Schwert in einer Scheide. Die langen dunklen Haare waren hinter dem Kopf zusammengebunden und in seinem Gesicht standen große Ent-schlossenheit, Trauer, aber auch Glück. Neben ihn trat nun ein Wesen, das sowohl ein Mensch als auch ein Alb hätte sein können. Es war Jaron, ein Treagon; Goldenes Mitglied des Zwölften Ordens, Herr über die Geschichtswissenschaften und Schützer Tyrons. „So langsam ist es an der Zeit, É-Teaniat zu verlassen, Tyron. Wenn Thromagon dich nicht hier finden soll, müssen wir schon bald nach Osten reisen. Wir sind schon seit fünf Bronen hier und ich fürchte, dass die Bewohner dieser Stadt bald Misstrauen gegen uns hegen.“
Tyrons Augen öffneten sich und blitzten sofort strahlend blau auf, seine schwarzen Pupillen zuckten zusammen wie verschreckte Tiere. „Wann willst du aufbrechen?“, fragte er, den Blick noch immer auf den flimmernden Horizont gerichtet. Jaron seufzte. „Ich denke, wir sollten morgen abreisen.“
Langsam nickte der Alb, dann wandte er sich seinem Schützer zu: „Wie werden wir reisen?“ Der Treagon sagte ein wenig besorgt: „Die Drachen zurückzuholen, nachdem wir sie fortgesandt haben, wäre mehr als töricht. Wir können es uns außerdem beim besten Willen nicht leisten, noch mehr Aufsehen zu erregen. So werden wir wohl wandern müssen, zumindest, bis wir die Grenze zu Ciman überquert haben. Dann sehen wir weiter.“ Tyron nickte abwesend. Während er und Jaron wieder in die Stadt hineingingen, wurden sie von den Bewohnern É-Teaniats genauestens beobachtet. Die Leute wirkten weder neugierig noch interessiert, sondern eher abschätzend, ängstlich oder gar schockiert. Die Einwohner von É-Teaniat hatten ihnen vom ersten Tag an misstraut.Tyron und Jaron waren fast in der Stadtmitte angelangt, da schlenderte eine Gruppe von Ordenssoldaten aus einer Gasse heraus. Alle trugen rote Umhänge und waren bewaffnet. Nur ein Einziger von ihnen war kein Alb, sondern ein Parde: Dagok, Freund und Begleiter Tyrons. Alle anderen waren ebenfalls Gefährten von Tyron und würden ihn in das Land der Adarcen, nach Ciman, begleiten. „Nun?“, fragte Dagok. „Wann reisen wir weiter nach Osten?“ Jaron antwortete bestimmt: „Morgen früh, am besten noch vor Sonnenaufgang. Wir werden zu Fuß gehen. Mein Ziel ist es, zunächst die Grenze zu überqueren und dann in Awaqueran zu rasten.“ Dagok runzelte die Stirn und dachte nach. „Wäre der Weg nicht kürzer, wenn wir nach Akrobon gehen und von dort aus nach Rygo?“, fragte er. Jaron nickte. „Natürlich, aber wir müssten die gewaltige Strecke zwischen Akrobon und Rygo auf einen Schlag bewältigen. Es ist sehr schwierig, einen solch langen Marsch durch Ciman zu überstehen, auch wenn wir eine große Gruppe sind. Ich halte es für klüger, über Aicton nach Rygo zu gehen.“ Dagok verstand und sie gingen weiter in die Stadt hinein. An einem gewaltigen Brunnen, der die Mitte von É-Teaniat kennzeichnete, wie es auch in albischen Städten oft vorzufinden war, bogen sie rechts ab, passierten eine Gasse voller Weberinnen und betraten schließlich ein altes Wirtshaus. In der Taverne hatten sie die letzten Tage verbracht.
Einige der Soldaten stiegen die schmale Holztreppe hinauf, die neben einer gewaltigen Eichentheke begann, auf der etliche Becher und Blechteller lagen. Im Obergeschoss befanden sich nämlich die Zimmer der Reisenden. Dagok gab Tyron und Jaron, die ebenfalls hinaufgingen, mit einer Geste zu verstehen, dass er noch unten bleiben und etwas trinken wollte.
Tyron betrat sein Zimmer, in dem er zusammen mit Dagok und einem Soldaten namens Dawid schlief, und setzte sich auf seine Pritsche. Auf einer kleinen Kommode lag ein Fetzen Pergament mit einer Zeichnung des Hafens Liinum. Tyron führte sie mit sich, weil er um die Frau trauerte, die sie angefertigt hatte. Die er geliebt hatte. Die von den Iarren getötet worden war. Tamina. Sicher, sie hat vorgegeben, mich nicht zu lieben, aber konnte ich ihr das glauben? Seufzend nahm er das Pergament in die Hände und strich darüber. Langsam muss ich Abschied nehmen.
Tyron legte das Pergament vorsichtig auf die Kommode zurück, stand seufzend auf und ließ die Hand über sein Schwert gleiten. Dann schloss er die Augen und zog es mit einem lauten, schleifenden Geräusch aus der Scheide. In der polierten Klinge spiegelte sich sein Gesicht. Er war älter geworden. Aber nicht nur das. Auch war er nun stärker. Er konnte mit dem Schwert umgehen wie ein Held. Er führte es geschickter als Jaron und beinahe so flink, wie es der letzte Dämon Meonor getan hatte. Dies hatte er Vlaworin zu verdanken, denn von jenem großen Magier hatte Tyron die Macht der Jahrtausende erhalten: eine Magie, die ihm Visionen über Zukünftiges gab, die ihn an den Gedanken Vlaworins teilhaben ließ, ihn schnell und ausdauernd machte, ihn befähigte, mit jeder erdenklichen Waffe zu kämpfen und die Zeit vor seinen Augen verlangsamen konnte, wenn Gefahr drohte.
Tyron wirbelte sein Schwert herum und stieß es in einen Gegner, der nur in seinem Kopf existierte. Es war nun schon das dritte Schwert, das er führte, aber das erste, das ihm erlaubte, seine Technik auszureifen. Er sehnte sich danach, auch seine linke Hand im Kampf zu nutzen, doch er hasste Schilde. Sie waren schwer und behinderten ihn nur. Der Alb ließ die Klinge erneut durch die Luft sausen, hörte, wie das Metall klang, wie es rauschte, wenn er es knapp an seinem spitzen Ohr vorbeilenkte.
Die Zeit verging wie im Flug, während er den Schwertkampf übte. Bald war eine ganze Stunde vorüber und Tyron hatte in seinem Kopf eine ganze Armee von Feinden aufgerieben. Das Üben half ihm, seine Gedanken zu ordnen, seine Erinnerungen zu sortieren. Und doch ist es das Morden, das ich einübe. Er ließ die Waffe sinken.
Alle, die ich getötet habe. Obgleich sie sich einem Dämon oder anderen dunklen Gestalten angeschlossen hatten, waren sie vielleicht dazu gezwungen worden oder hatten geglaubt, Frieden mit ihrem Werk zu erreichen? Es quälte den Alben sehr, wenn er daran dachte. Tagein, tagaus suchte er nach einer Rechtfertigung, doch fand sich keine. Außer vielleicht dem Tod seiner Freunde. Er schielte zu Taminas Zeichnung hinüber. Der Krieg würde weitergehen, bis Thromagon oder die guten Mächte gewannen. Tyron stieß sein Schwert zurück in die Scheide und steckte das Pergament unter sein Wams. Mein Antrieb.
„Tyron?“ Dagok steckte den Kopf ins Zimmer. Der Alb drehte sich um. „Ja?“ Dagok kam näher und setzte sich auf seine Pritsche. „Wie geht es dir?“, fragte er. „Du wirkst etwas bedrückt in letzter Zeit.“ „Es ist alles in bester Ordnung“, log Tyron und zwang sich zu einem Lächeln. Dagok zog die Augenbrauen hoch und fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen Haare. „Du lügst sehr schlecht“, meinte er. „Und du bist wie meine Schwester“, sagte der Alb, grinste und musterte seinen Freund.
Dagok hatte einige Narben am Körper, die er nicht bekommen hätte, wenn er dem Orden nicht beigetreten wäre. An seiner Seite hingen ein Kurzschwert und eine Vorrichtung, die er sich um die Hand schnallen konnte, um seinen Bogen zu spannen, denn ihm fehlten drei Finger. In der letzten Schlacht hatte er noch eine Wurfaxt getragen, aber er war das zusätzliche Gewicht leid geworden. Zu Tyrons Erstaunen hatte sich Dagoks Haut verändert. Sie war nun nicht mehr rabenschwarz, sondern von einem dunklen Graubraun. Hätte er nicht die Augen und spitzen Zähne eines Parden gehabt, dann hätte man meinen können, Dagok sei ein Alb von muskulöser Statur und farbiger Haut.
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