Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969
Produktform: Audio CD
Gudrun Ensslin, eine Indianersquaw aus braunem Plastik, und Andreas Baader, ein Ritter in schwarzglänzender Rüstung – so vermischen sich im Kopf des 13-jährigen namenlosen Erzählers in Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" – die politischen Verwerfungen in der BRD des Jahres 1969 mit seinen kindlich-spielerischen Fantasien.
Das Jugendzimmer wird hier zum Echoraum der Geschichte und der hier ausgetragene Aufstand gegen die Trias Familie, Staat und Kirche ist nicht minder real, als die von der RAF geträumte Revolution auf bundesdeutschen Straßen. Zusammen mit dem Teenager begeben wir uns in den oszillierenden Raum seiner manischen-depressiven Störung – seine Lebensorte überlagern sich und verwischen, da erscheinen das bereits erwähnte Jugendzimmer ebenso, wie der letzte Ort seines kurzen Lebens im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
In diese Echoräume schieben sich aber immer wieder auch konkrete Lebenserinnerungen des Teenagers. Die Vergangenheit, ihr Geruch, ihr Geschmack und die darin wohnenden Ängste und Traumata brechen durch eine mühsam geklitterte Oberfläche, genauso wie in dieser Zeit die Wundkrusten der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft aufreißen und die Metastasen der verborgenen und verdrängten Nazizeit plötzlich freilegen. Seine Jugend zwischen Kirche und Krankheit setzt den jugendlichen Erzähler fortwährenden Befragungs-, Verhör- und Geständnissituationen aus – ob in seiner Therapie oder im Beichtstuhl.
Und mit jeder Frage und jedem Geständnis brechen neue Krusten auf. Schließlich erliegt er diesem inneren Zeitbeben. Über seine manisch-depressive Störung befindet der Erzähler dabei, „man ist ja nicht immer wahnsinnig, sondern man ist wahnsinnig und dann wieder nicht, so wie man liebt und dann wieder nicht.“ So unstet wie seine Zustände ist auch seine Erzählung, und so befindet er weiter: „erlöse uns von unseren Gedanken und Meinungen und dem Versuch, Geschichte zu rekonstruieren und immer gleiche Gedanken in Wiederholungen zu perpetuieren und damit das kardiovaskuläre System langsam nach unten zu fahren.“
Das Aufheben der linearen und chronologischen Erzählweise ist hier eben nicht erzählerisches Mittel zum Zweck, sondern Ausdruck dieser „frei in der Zeit flottierenden Geschichtsschreibung“, mit der sich Frank Witzels Roman gegen die herkömmliche Deutung der Geschichtsschreibung und Interpretation wendet.
Bearbeitung: Frank Witzel und Leonhard Koppelmann
Musik: Frank Witzel
Ton und Technik: Gerhard Wicho, Daniela Röder
Besetzung: Andrea Fenzl
Regie: Leonhard Koppelmann
Dramaturgie und Redaktion: Katarina Agathos
Produktion: BR Hörspiel und Medienkunst 2016
Ursendung: Bayern 2, 25. Juni 2016weiterlesen