Die Begriffe »Holocaust« und »Shoah« werden zumeist als Bezeichnungen angesehen, die moralische Bedeutungen tragen und gesellschaftspolitisch ausgehandelt sind. Vermutet werden könnte, dass die Funktion beider Begriffe darin liegt, die Besonderheit des Ereignisses zu betonen.
Die vorliegende Studie widerspricht der Eingrenzung auf ausschließlich symbolische Funktionen und fragt nach der Bedeutung als »Namen«. Wie sprechen wir über Ereignisse und welche Bilder werden zu Bezeichnungen?
Von dem Ergebnis ausgehend, dass die Begriffe unterschiedliche Funktionen erfüllen, je nachdem, ob sie als Symbol, Zeichen, Metapher oder Name eingesetzt werden, werden Wechselbeziehungen zwischen den formativen Eigenschaften des Namens und den narrativen Funktionen herausgearbeitet. Mit der Typisierung der Erwartungen, die wir an Namen stellen, und der Aussagen, die wir mit Namen bilden können, lässt sich unterstreichen, dass die Fähigkeit der Namen, die für den »Holocaust« entwickelt worden sind, nicht in ihrem moralischen Potential liegt, sondern in der Fähigkeit zu bezeichnen, und dabei die Tatsächlichkeit, die Präsenz und die Gültigkeit des Geschehens zu markieren. Welche Entwicklungen werden die Begriffe und Namen nehmen, mit denen wir zukünftig Katastrophen und Gewaltakte benennen, um eine Erkennbarkeit des Geschehens zu unterstreichen, aber vielleicht auch noch stärker mit dem Risiko gezielter Gleichsetzungen und Nivellierungen von Opfern und Überlebenden konfrontiert sind?
Die Durchsetzungsgeschichte der Begriffe Churbn (jidd.: »Katastrophe«), Holocaust und Shoah wird quellenreich nachgezeichnet. Die begriffsgeschichtliche Untersuchung wird gerahmt von einer sozial- und kulturtheoretischen Analyse zu Relationen von Ereignis und Sprache, Dialogizität und Schweigen.
Kristin Platt macht deutlich, dass Benennungen als soziale Verfahren verstanden werden können, durch die nicht zuletzt Anerkennungen ausgehandelt werden. Wer kann, wer darf sprechen?weiterlesen