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Die Äquilibration der kommunikativen Strukturen

Theoretische und empirische Studien zu einem soziologischen Lernbegriff

Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)

Dass soziale Systeme lernen können, hat Niklas Luhmann nicht bestritten; es hat ihn nicht interessiert. Man kann vermuten, dass ihm ein Lernbegriff zu sehr nach 'alteuropäischer Rationalität' roch. Dass eine Weiterführung der Mitte der 1970er Jahre von Jürgen Habermas und Klaus Eder begonnenen Tradition soziologischer Lerntheorie dennoch gerade mit systemtheoretischen Begrifflichkeiten möglich, sogar geboten ist, ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Studie. Es überrascht nicht dass hierbei ein Anschluss an die genetische Epistemologie Jean Piagets gesucht wird, sind doch alle bisherigen Ansätze zu einem soziologischen Lernbegriff von der Vorarbeit Piagets ausgegangen. Nahezu durchgängig stützte man sich dabei allerdings auf den frühen Piaget, vor allem auf seine Studien zur Moralentwicklung: Das Gute ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit. Die vorliegende Studie hingegen knüpft an die Äquilibrationstheorie des späten Piaget an, die von wesentlichen Autoren für unsoziologisch gehalten wird. Diese zunächst vielleicht exotisch anmutende Vermählung zweier auf völlig unterschiedliche Einheiten fokussierenden Theorien wird durch eine geteilte Grundannahme plausibel: operative Geschlossenheit. Damit ist die ganz und gar unexotische Beobachtung angesprochen, dass Lernenden, seien es Systeme oder Subjekte, keine Neuheiten eingepflanzt werden können. Man kann sie nur irritieren. Die für die Entfaltung eines soziologischen Lernbegriffs entscheidende Frage muss dann darauf zielen, ob und wie der von Piaget für kognitive Systeme entworfene Lernprozess auf kommunikative Strukturen zu übertragen ist. Die Antworten können vorweggenommen werden: Ja, soziale Systeme können lernen. Ja, es gibt eine Äquilibration der kommunikativen Strukturen. Doch für eine soziologische Äquilibrationstheorie, wie für jeden Lernschritt, gilt: Jedes gelöste Problem wirft neue Probleme auf. Dies zeigt sich hier an der Schwierigkeit, einen allgemeinen Lernbegriff sozialer Systeme auf die von der Systemtheorie vorgesehenen 'Spezialfälle' zu übertragen: Interaktionen, Organisationen, Funktionssysteme und schließlich: Gesellschaft. Lernen auf Gesellschaftsebene zu thematisieren bedeutet auch, sich wirkmächtigen Paradigmen sozialen Wandels zu stellen. Schaut man sich diese an, scheint es hier auf den ersten Blick gar keinen Bedarf an einem soziologischen Lernbegriff zu geben. Sowohl für Formen gerichteten als auch ungerichteten Wandels verfügt die Soziologie über zahlreiche etablierte Paradigmen. Auf der Seite gerichteten Wandels gibt es die Konzepte der Modernisierung, der Transformation oder der Entwicklung. Taucht hier das Lexem Lernen auf, wird es nahezu synonym verwendet: Ein Staat etwa ist moderner geworden, hat einen Entwicklungsschritt getan oder eben: er hat gelernt. Will man Lernen nicht mit Weiterentwicklung gleichsetzen, wartet auf der anderen Seite der Unterscheidung vor allem der Evolutionsbegriff. Auch hier wird Lernen subsumiert, wenngleich in einer ganz anderen Weise. Die Systemtheorie etwa bezweifelt nicht, dass es Lernen gibt, behandelt es allerdings gewissermaßen als Wandel zweiter Klasse, bleiben Lernresultate doch eingebettet in Prozesse sozialer Evolution. Die These, dass ein soziologischer Lernbegriff Phänomene sozialen Wandels beobachtbar macht, die unter keines der bestehenden Paradigmen zu subsumieren sind, kann verteidigt werden, wenn gezeigt werden kann, dass Lernen keineswegs mit Rationalitätszuwächsen einhergehen muss und wie sich Lernen dann noch von evolutionärem Wandel unterscheiden lässt. Die Studie versucht, dies auch empirisch zu plausibilisieren. Mit der Rekonstruktion eines Lernprozesses der UN-Generalversammlung und der Durchsetzung des UN-Kaufrechts (CISG) lässt sich zeigen: Der Erfolg dieses vereinheitlichen Welthandelsrechts war alles andere als zufällig und entzieht sich schon deshalb der Erfassung durch den Evolutionsbegriff. Vielmehr wird im Durchsetzungsprozess deutlich: Die funktional differenzierte Gesellschaft kann unter Bedingungen von Co-Evolution nicht als Ganze lernen. Dass aber die Erwartungsstrukturen unterschiedlicher Funktionssysteme durchaus aufeinander abgestimmt werden können, lässt die für systemtheoretische Verhältnisse außerordentlich optimistische Folgerung zu, dass vom Lernen eines Systems weit mehr als nur ein Funktionsbereich der modernen Gesellschaft strukturell profitieren kann – wenn auch nicht voraussetzungslos, wie sich ebenso am untersuchten Fall zeigen lässt.weiterlesen

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-938808-96-2 / 978-3938808962 / 9783938808962

Verlag: Velbrück

Erscheinungsdatum: 30.09.2010

Seiten: 320

Auflage: 1

Autor(en): Marc Mölders

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