Die schöne Décadence
Geschichte eines literarischen Paradoxons
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Trotz einer Vielzahl von Untersuchungen des in sich zusammenhängenden Komplexes aus L´art pour l´art, Décadence, Ästhetizismus, Fin de siècle etc. fehlt bis heute eine umfassende Untersuchung, die die Vorstellungen, Begriffe und Bilder samt dem wissenschafts- und geistesgeschichtlichen sowie gesellschaftlichen Kontext anhand zeitgenössischer, in erster Linie französischer, Quellen paradigmatisch aufbereitet. Sie wird hier, auf der Basis jahrzehntelanger Studien, vorgelegt.
Der Autor, Ancien Elève de l´École Normale Supérieure, Docteur des lettres (Sorbonne), beschloß seine Universitätslaufbahn als Professeur honoraire der Faculté des lettres in Strasbourg und Ordinarius für Neuere Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität München. Die Vertrautheit des Komparatisten mit anderen europäischen Literaturen gab ihm die Möglichkeit, gerade die Paradoxie des Phänomens von seinen Wurzeln her und in der historischen Entfaltung aufzuzeigen. Die Provokation bestand im 19. Jahrhundert darin, daß die bislang verschrienen Verfallsepochen - in primis die römische - als Quell absoluter Schönheit entdeckt wurden. Tradierte historische und ästhetische Topoi erfuhren einen grundlegenden Bedeutungswandel, oft in direkter Umkehrung der bisherigen Wertungen - so hat Flaubert Nero als den größten Dichter gepriesen, und Heine oder Mallarmé verklärten die "Teufelin" Herodias-Salome. Was in der Natur als gefährlich und häßlich gemieden worden war, Orte organischer Dekomposition wie etwa Sümpfe, reizte die Poeten zur Entwicklung einer Ästhetik des Verfalls, einer Dialektik von Schönheit und Morbidität. So wird das Treibhaus, wo hybride Natur und Künstlichkeit vereint sind, zur beliebten Metapher, und die "belles fièvres" aus den Lagunen Venedigs sorgen u.a bei D´Annunzio und Thomas Mann für körperliche wie seelische Verwirrung.
Doch folgte der Verklärung der Verfallssymptome unvermeidlich die ironische und parodistische Behandlung der nur kurze Zeit elitären, alsbald schon modisch trivialisierten Themen. Die schärfste Ablehnung der Verklärung des Verfalls ging dann jedoch mit medizinischen und politischen Implikationen einher. Die décadence geriet in die Nähe der zu bekämpfenden dégénérescence, der "Entartung" Nordaus und der Romanciers, die wie C. Mendès, Péladan, Rachilde, Lorrain usw. sich auf die Behandlung erotisch-pathologischer Fälle spezialisierten. Während aber um 1880 décadence sowie décadent zu Modewörtern wurden und auch außerhalb Frankreichs Anklang fanden, kehrten sich wichtige Autoren von der mit ihnen bezeichneten Tendenz ab. Huysmans, Bourget, Barrès fanden zurück zu den traditionellen katholisch-patriotischen Werten, während sich die Ausländer, die eine Zeitlang mit der Décadence kokettiert hatten - Wilde wie D´Annunzio, Nietzsche wie Hofmannsthal und Altenberg - jeder auf seine Weise um deren "Überwindung" bemühten. Ihre endgültige Verdammung erfuhr die décadence durch Leo Tolstoi.
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