Die Seelendimension des Yoga
Praktische Grundlagen zu einem spirituellen Übungsweg
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Es gibt unterschiedliche Arten, wie über eine uralte geistige Disziplin, wie es der Yoga aus dem fernen Indien ist, eine praktische Anleitung verfasst werden kann. Die eine und die häufigste, wie auch bekannteste Anleitung ist jene, dass der Autor sich an den östlichen Überlieferungen des Yoga orientiert und diese in einen praktischen und nutzbaren Zusammenhang mit der westlichen Art des Denkens und Auffassens bringt. Indem auf diese sehr allgemeine und bekannte Weise eine Wiedergabe und Anleitung zu den Yoga-Übungen weitergegeben wird, entsteht aber noch nicht ein wirklicher Zusammenhang von einer ehemals östlichen Yoga-Kultur zu unserer wohlbekannten, gegenwärtigen Welt. Die Denkgewohnheiten, die der Yoga-Kultur des indischen Geistlebens entsprechen und ganz besonders des älteren Indiens, aus dem der Yoga stammt, sind so sehr verschieden von der westlichen Mentalität, dass es höchst bedenklich und unangebracht erscheint, wenn man diese in einen leichtfertigen und schnellen Gebrauchszusammenhang stellen würde. Der Yoga und seine Anleitung heute bedarf einer neuen begrifflichen Interpretation und eines konkreten, differenzierten Gebrauches seiner Übungen, damit er in seiner ursprünglichen Tiefe eine für das heutige Denken und Wahrnehmen aufklärende Betrachtung erhält, und nun nach ausreichend erörterten Begriffen und im Kontext erfassten Bildern das Bewusstsein des gegenwärtigen Menschen erreichen kann.
In dieser Schrift erfolgt in rhythmischen Wiederholungen die Aufmerksamkeit auf den Begriff der Seele des Menschen und es soll in den folgenden Kapiteln die seelische Dimension, die in den Übungsweg des Yoga hineinzuführen möglich ist, in das Licht der tätigen Vorstellungsbildung rücken. Um nun die Begriffe, um die es sich beispielsweise in den folgenden Texten handelt, näher zu erklären, bedarf es einer zunehmenden inhaltlichen und sorgfältigen Auseinandersetzung. Diese inhaltliche, begriffliche Klärung erscheint außerordentlich wichtig, da die meisten Personen, die einen spirituellen Weg betreten, und der Yoga wäre ein spiritueller Weg, vielerlei unterschiedliche und ungenaue Vorstellungen mit den Begriffen assoziieren und deshalb ihre Seele mit Gefühlen und Emotionen beladen, die der Entwicklung oftmals schädlicher als nützlicher sind. Aus diesen Gründen ist es sogar notwendig, auch den Begriff „Inhalt“ im Vorfeld der Übungsanleitungen zu charakterisieren.
Ein spiritueller und intensiver Inhalt lag ehemals in den Begriffen, da die Menschen in der früheren Phase des Yoga ein hellsichtiges und somit lebendiges, gefühlsmäßiges Wahrnehmen zu metaphysischen Erscheinungen und den geistigen Zusammenhängen hatten. Zur Zeit als die Veden, die Upanishaden oder die Bhagavad Gita entstanden sind, das sind die spirituellen Schriften, die die Yoga-Kultur geprägt haben, erlebte der damalige Mensch noch sehr deutlich die einheitlichen Zusammenhänge von einem nachtodlichen, kosmischen Leben zur Erdenkultur und konnte so die erschauten Weisheiten auf einen Yoga-Übungsweg übertragen und anwenden. Heute aber ist dieses Bewusstsein der Hellsichtigkeit aufgrund der materiellen Verfestigungen und der intellektuellen Überbetonungen verloren gegangen, und damit sind auch die Wahrnehmungen der ehemaligen Schau verloren. Die Begriffe des Yoga sind deshalb für die heutige Kultur und für die aktuelle Zeit leer, inhaltslos, isoliert und daher nicht mehr anwendbar.
Damit der Yoga heute wieder aus dem sozialen und menschlichen Leben heraus verstanden und weiterentwickelt werden kann, erscheint es durchaus notwendig, noch einmal diese fast banal klingende, aber doch interessante Frage zu stellen: Was ist ein Inhalt, ein Seeleninhalt, ein spiritueller Inhalt ? Damit es einen seelischen oder spirituellen Inhalt gibt, bedarf es eines konkreten Gedankens, der in eine nachvollziehbare und logische und auch wahre Beziehungsrichtung geführt wird. Diese Beziehungsrichtung, die mit dem Gedanken eingeschlagen wird, führt ein geeignetes Gefühl oder eine Stimmung herbei, die schließlich durch das Bewusstsein erfasst und erlebt werden kann. Solange ein Begriff isoliert im Text erscheint oder er auf eine Weise absolut, definitiv oder traditionsgebunden gebraucht wird, fehlt sein innerer Zusammenhang oder seine innere und wahre Beziehung. Es fehlt dann sein wirkliches Wesen, seine erkennbare Farbe oder seine Proportion und Form, und deshalb ist er eigentlich nur eine Äußerlichkeit, eine Art Schale ohne Kern. Ein Inhalt hingegen weist charakteristische Bezüge auf und offenbart sich durch seine logische Eingebundenheit, seine Wahrheit und auch durch seine inneliegende Vision. Ein Gegenbild zu einem inhaltlichen Bewusstseinsweg offenbart die so weit verbreitete Konsumorientierung, die gerade in den letzten Jahrzehnten zu einem selbstverständlichen Willensbestandteil des Menschen geworden ist. Diese Konsumorientierung wird der heutige spirituell Suchende fast naturgemäß auch auf einen Übungsweg, wie es der Yoga ist, übertragen.
Nicht, dass der Yoga nur ein Missverständnis für die westliche Welt erzeugen kann, da er aus einem fernen Land und aus früheren Kulturformen entstanden ist, vielmehr ist es sogar die zeitgemäße Bewusstseinseinstellung selbst, die das Nutzprinzip oder das materielle Gebrauchsprinzip zur höchsten Maxime erhoben hat, und die nun den Yoga mit seinen ehemaligen hohen Idealen und Inhalten in eine materialistische Sphäre mit ungesunden Vermischungen und Bewertungen der Begriffe führt, und auf diese Weise die menschliche Entwicklung der Seele in heimliche und unerkannte Unfreiheiten lenkt.
Die nun folgende Auseinandersetzung mit den Begriffen und Beschreibungen führt auf besondere und intentionierte Weise zu einer Gliederung und Differenzierung des Bewusstseins und schließlich zu einer konkreteren Beziehungsaufnahme der Gedanken mit ihren Objekten und somit zu einer tieferen inhaltlichen Erlebensweise. Diese klare Folge in der Orientierung und in der bewussten Umgangsart und Entwicklung von Inhalten und ihren Beziehungen ist deshalb an allem Anfang hervorzuheben, denn von dieser ausgehend entwickelt sich, wie das im weiteren Verlauf zur Konkretisierung kommen wird, eine seelische Dimension des Yogawillens. Die denkende, vorstellende, die empfindsame und vertiefende Bewusstseinsarbeit, und schließlich erst zuletzt die Praxis mit der Körperübung, führt zu der Entwicklung desjenigen Erlebens, das man als seelisch bezeichnen kann und das heute in seiner wahren Tiefe und in seinem möglichen und
weiten Zusammenhang entdeckt werden soll, um die materialistische Zeit von innen heraus tatsächlich zu überwinden.
Gerade zu Beginn dieser Yoga-Praxis kann es für den ungeschulten Leser sehr schwierig erscheinen, die Gedanken und Inhalte richtig zu erfassen und sie auch authentisch, gemäß ihrer Aussage, selbständig zu denken. Dieses selbständige Denken ist tatsächlich eine Aufforderung in diesem Übungsweg. Eine konsumorientierte Praxis, die als Erstes die Übung ergreift, und die sich mit den Inhalten nicht in einem sorgfältigen und klaren Sinne beschäftigen muss, wäre sicher der leichtere Weg, aber sie wäre auch nicht geeignet, um die Tiefen der Seele und ihre Dimensionen in der Weltenschöpfung zu erfassen. Aus diesem Grunde bedarf die Annäherung zu dem Weg, wie er hier geschildert ist, einiger Zeit und Geduld. Nicht durch ein schnelles Lesen lässt sich der wirklich ausgesagte Begriff und sein Zusammenhang erfassen und erdenken, sondern nur durch ein wiederholtes, einfühlsames und konzentriertes Erschauen und eigenständiges, bewusstes Erdenken und Vorstellen, rückt der zentrale Gedanke näher und gewinnt seine tatsächliche, hier im Kontext erfahrbare Bezugsrichtung. Es ist die Disziplin vergleichbar, wie wenn der Leser auf einen in der Ferne klingenden Ton hinhorcht, der erst bei der Entwicklung einer sorgfältigen Aufmerksamkeit an das Innenohr heranklingt und so in seiner Sensitivität, in seinem Ausgang und in seinem Ende vernommen wird. Ebenso rückt der ausgesagte Gedanke langsam mit seinem Kontext, mit seinem wirklichen Inhalt, mit seinen Bezügen, seinem Anfang, seinem Zentrum und seinem Ende näher und kann durch die denkende Tätigkeit eine persönliche Integration erhalten.
Es ist günstig, beim Lesen dieser Texte auf vorschnelle emotionale Bewertungen oder intellektuelle, spitzfindige, schnelle Urteile zu verzichten. Für das Arbeiten mit den Übungen und das Lesen der Texte sollte vielmehr die menschliche, schöpferische Kraft im Sinne einer wachsenden inhaltlichen und authentischen Vorstellungstätigkeit angeregt werden, und um zu dieser zu gelangen, ist es günstig, die Gedanken, die im Text vorkommen, so lange denkend zu erforschen, bis sie eine größere und wirklichere Urteilsfähigkeit in themenbezogenerer Hinsicht eröffnen. Manche Kritiker behaupten, man würde Abhängigkeiten eingehen, wenn man nicht sofort Kritik und Beurteilung an dem Gelesenen und an den Übungen anbringt.
Es handelt sich aber nicht darum, seine Urteilsfähigkeit mit der Hinwendung an diese Texte aufzugeben, sondern es handelt sich vielmehr um eine Erweiterung und Vervollkommnung der Urteilsfähigkeit durch eine sinnvolle Aktivierung des Denkens zu Gedankeninhalten und Vorstellungsbildern. Würde man bei dieser Disziplin, die sicherlich für die meisten Yoga-Wege relativ unbekannt ist, von Abhängigkeit sprechen, so würde man die Möglichkeit versäumen, durch das Studieren von Texten und durch das denkende Wahrnehmen der Begriffe und Übungen, die Seele auf höhere Zusammenhänge einzustimmen und sie inhaltlich zu bereichern. Für eine spirituelle Disziplin darf man nicht an der Oberfläche der Begriffe stehenbleiben, sondern man tut sich einen großen Gefallen, wenn man diese in ihrer Sinntiefe hinterfrägt und sie in den verschiedenen Beziehungsverhältnissen, sowohl authentisch als auch in ihren möglichen Zusammenhängen denken lernt. Die Vorstellungstätigkeit, die auf diese Weise, verbunden mit der Übungspraxis, angeregt wird, erhebt jenes ersehnte Bewusstsein des seelischen und verborgenen Lebens.weiterlesen
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