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Die Ukraine 1943/44

Loyalitäten und Gewalt im Kontext der Kriegswende

Produktform: Buch

Gegenstand dieser Arbeit sind Formen der Massengewalt in der Zentralukraine unter der erodierenden deutschen Besatzung sowie individuelle und kollektive Reaktionen auf diese. Das Abbrennen von Dörfern und das Ermorden ihrer EinwohnerInnen wurde bereits seit dem deutschen Einmarsch 1941 zur zentralen Repräsentation deutscher Gräueltaten in der sowjetischen Darstellung des Zweiten Weltkrieges. Fragmentarisch sind die Vorgänge, die in der Zeit des Rückzugs besonders herausstachen, auch in der Bundesrepublik seit Langem bekannt. Bereits 1965 wies der Journalist und Historiker Alexander Werth darauf hin, dass es in der Sowjetunion „nicht nur ein Oradour, nicht nur ein Lidice, sondern Hunderte“ gab. Er spielte auf die massiven „Vergeltungsaktionen“ an, die vor allem im Rahmen des Kampfes gegen tatsächliche oder vermeintliche PartisanInnen angewandt wurden. Aber auch ohne dass die deutschen Einheiten sich auf Partisanenaktionen als vorgeblichen Anlass ihrer „Vergeltung“ beriefen, steckten sie immer wieder Dörfer in Brand, durch die sie auf dem Rückzug kamen. Sie handelten nach dem Primat der „verbrannten Erde“, wonach dem Gegner lediglich eine „Wüste“ zu hinterlassen sei. Diese Taktik, nach und nach ausgebaut zu einem fundierten Programm, umfasste mehr als das Abbrennen von Dörfern: Im Angesicht des Rückzugs bemühten sich die deutschen Institutionen, große Teile der Bevölkerung in der Ukraine zu evakuieren und zu deportieren. Die Beschaffung von Arbeitskräften wurde verquickt mit der Partisanenbekämpfung, etwa wenn im Rahmen einer Vergeltungsaktion die EinwohnerInnen des betroffenen Dorfes deportiert wurden. Spätestens mit den allgemeinen Evakuierungen sollte verhindert werden, dem Gegner Arbeitskraftressourcen zu überlassen. Wie Tanja Penter feststellte, waren die Grenzen zwischen Deportation, Vertreibung und Flucht zunehmend fließend. Systematisch wurden der Bevölkerung Lebensmittel, Vieh und weiteres Eigentum geraubt. Fabriken und landwirtschaftliche Anlagen wurden massenhaft demontiert und schließlich zerstört. So wurden die Lebensgrundlagen durch die Strategie der „verbrannten Erde“ vielfach zerstört. Dies betraf in der Zeit des Rückzugs der Wehrmacht einen Großteil der Bevölkerung in der Ukraine. Kurz vor ihrem Abzug ermordete das Personal diverser Gefängnisse und psychiatrischer Zwangsanstalten die Inhaftierten, die sie als „lebensunwert“ einstuften und deren Zeugenschaft sie verhindern wollten. Auch die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener verbesserte sich trotz einiger schwacher Initiativen nicht essenziell, und ihre Sterblichkeit hielt an. Verschiedentlich wurden sie Opfer von Massakern während des Rückzugs der Wehrmacht. Die wenigen noch in der deutsch besetzten Sowjetunion lebenden Jüdinnen und Juden waren fortwährend vom Tod bedroht und auf die Unterstützung der nichtjüdischen Bevölkerung angewiesen. Mitunter entkamen sie ihren Verfolgern und schafften es auf verschiedene Weise, bis zum Eintreffen der Roten Armee auszuharren. Aufseiten der deutschen Zivilverwaltung, Wirtschaftsorganisationen, Wehrmacht, SS, SD und Polizei kam es teils zu unübersichtlichen Situationen, in denen die Zuständigkeiten nicht immer eindeutig geregelt waren. Hinzu traten Kompetenzstreitigkeiten vor allem zwischen der Zivilverwaltung und der Wehrmacht. Zeitgleich wuchsen die Verbände sowjetischer oder sowjetisch assoziierter PartisanInnen auf dem Territorium der Ukraine rasant und weiteten ihre Aktivitäten aus. Ihre Angriffe galten den Besatzungseinrichtungen, deutschen Truppen und ihren Nachschublinien, aber auch den Einheimischen, die für sie tätig waren. Es kam demgemäß vermehrt zu Desertion, Sabotage und Flucht aus den lokalen Organisationen und Verbänden, die mit den oder im Sinne der Deutschen arbeiteten, wie den Schutzmannschaften (Schuma, Verbände der ukrainischen Hilfspolizei) und den Hilfswilligen (Hiwis). Auch die Bereitschaft der verbliebenen Zivilbevölkerung, die Deutschen etwa durch Lebensmittelabgaben zu unterstützen, schwand. Die Haltungen der EinwohnerInnen entwickelten sich insgesamt zuungunsten der deutschen Besatzungsmacht. Doch schlossen sich ihr auch vor und auf dem Rückzug zahlreiche Menschen aus der Ukraine ohne unmittelbaren Zwang an oder setzten sich aktiv für ihren Fortbestand ein.weiterlesen

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-86331-600-6 / 978-3863316006 / 9783863316006

Verlag: Metropol-Verlag

Erscheinungsdatum: 12.08.2021

Seiten: 558

Auflage: 1

Autor(en): Johannes Spohr

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