Das Trauerspiel »Die Vergeltung« ist 1820 in Berlin erschienen und erzählt die Geschichte einer Familie aus dem Adel in einer deutschen »Residenzstadt« in fünf Aufzügen. Für die Bühne sei der Text »völlig ungeeignet«, vermerkt ein zeitgenössischer Rezensent, und tatsächlich ist dieses Stück als Schauspiel nur schwer vorstellbar – was zum Beispiel geschieht mit dem bedeutsamen Brief der Hauptperson, dessen Inhalt auch den Leserinnen und Lesern zur Kenntnis gegeben wird? Ob er wohl zugestellt wurde? Das Rätsel löst sich auch am Ende des Stückes nicht auf. Dennoch (oder gerade deswegen): Mit all seinen Schwächen ist der Text der Autorin insofern ein wichtiges Zeugnis der Möglichkeiten und Beschränkungen, die Frauen im beginnenden neunzehnten Jahrhundert vorgefunden haben, als Johanna von Bültzingslöwen sowohl lebenspraktische ökonomische Fragen wie auch Bildungsfragen aufgreift, die sich in ihren theoretischen Schriften widerspiegeln. Musik und ihre Wichtigkeit als »erlaubte« Kunst spielt eine größere Rolle in Bültzingslöwens Text »Briefe über die weibliche Bildung«: »ist nun vielleicht ein Frauenzimmer etwa vom Schicksal dazu bestimmt, oder fügen sich vielleicht die Umstände so, welches doch keine vorher wissen kann, nie ein eheliches Band zu knüpfen, und sich für ihr ganzes Leben allein überlassen zu bleiben, welchen herrlichen Genuß gewährt ihr alsdann die Musik!« »Genuß« kann ebenso in der Berufstätigkeit bestehen, die ihre Frau ernährt
– Frauen sind auch im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert ohne Zugang zu institutionellen Ausbildungen ihren beruflichen Weg gegangen, Spöttereien wie die Karikatur auf der Titelseite dieses Bandes gekonnt ignorierend.weiterlesen