Die letzte offizielle Maidemonstration, im Frühjahr vor der Herbstrevolution, erscheint heute harmlos – sie war eine friedliche Demonstration, keine Revolution. Betriebe, Schulen und Sportvereine hatten ihre Leute verpflichtet, auf die Straße zu gehen, und sie trugen gelangweilt die Transparente von Marx, Lenin, Freundschaft und Frieden. Die Staatsmacht zeigte sich in bunten Uniformen – in Ausgehuniform, nicht im Kampfanzug. Der Umzug bot ein Bild der Lächerlichkeit und jeder wußte es. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, daß die Herrschaft der alten Männer bereits ein halbes Jahr später am Ende sein würde. Man lief unter blühenden Bäumen entlang, aß Zuckerwatte, trug Luftballons. So manches Plakat landete im Papierkorb, die Fahnen wurden hinter der Tribüne ins Gras geworfen. Die Bilder dieses Fotobändchens gehören zu den Hinterlassenschaften im Abrißhausatelier eines geflohenen, unbekannten Fotografen. Jetzt erst offenbaren sie ihre Augenzeugenschaft: als Vignette einer verflossenen Zeit.weiterlesen