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Duncan Terrace Piano Destruction Concert London 1966 / Beschleunigter Zerfall. Piano Destruction Concert 1966. Remix

Produktform: Audio CD

Das dreizehnte Band Am Anfang war ein Rätsel: im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar ist der Nachlass des Dadaisten, Psychiaters und Reiseschriftstellers Richard Huelsenbeck (1892-1974) aufbewahrt, der vor allem aus Typoskripten, handschriftlichen Aufzeichnungen, Briefen und Fotos besteht. Zum Nachlass gehört auch ein Karton, der 13 Tonbänder enthält. 1991 bot ich dem Archiv an, die Bänder, die sich an den Klebestellen bereits auflösten und auch sonst erste Verfallserscheinungen zeigten, im Bayerischen Rundfunk digitalisieren zu lassen und zu katalogisieren. Bei den Bandaufnahmen handelt es sich vor allem um Mitschnitte von Lectures und einigen wenigen Lesungen von Gedichten Huelsenbecks. Dann war da noch dieses dreizehnte Band. Die Aufnahme war in keinen Zusammenhang zu Richard Huelsenbeck und seinem Werk zu bringen. Sie blieb deshalb für lange Zeit unbeachtet liegen. Vor einigen Jahren stieß ich in einem Buch über Videokunst auf Ralph Ortiz - bzw. Raphael Montañez Ortiz, wie sich der Künstler inzwischen nennt (geb. 1934 in Brooklyn, NYC) - und erinnerte mich in diesem Zusammenhang, den Namen auf einer der Bandschachteln gelesen zu haben. Tatsächlich war die Schachtel dann mit diesen handschriftlichen Notizen versehen: "Ralph Ortiz performed his piano Destruction concerto No. 2 in Home of Mr. J. Lun(d)smann" "10/10/1966 Destruction in Art Symposium (London)" "Ralph Ortiz Piano Destruction Concer[!] with Interview DIAS 1966". Ich begab mich auf die Suche nach Raphael Montañez Ortiz, kam in Kontakt, schickte ihm eine Kopie der Aufnahme, erhielt von ihm detaillierte Angaben zur Entstehung und das Einverständnis, sie in der Reihe intermedium records zu veröffentlichen. Richard Huelsenbeck, der unter dem Namen Charles R. Hulbeck in New York lebte, war ein Förderer und Freund des jungen Künstlers Ralph Ortiz. Er konnte in den frühen 1960er Jahren sogar einen Ankauf eines Werks von Ortiz an das Museum of Modern Art vermitteln. Die Aufnahme "Duncan Terrace Piano Destruction Concert London 1966" - wie Ortiz sie betitelt - entstand bei dem von Gustav Metzger initiierten "Destruction In Art Symposium" in London 1966, abgekürzt DIAS, das ein herausragendes Kunstereignis jener Zeit war und an dem sich zahlreiche Künstler beteiligten, unter ihnen Jean Toche, Wolf Vostell, Hermann Nitsch, Juan Hidalgo, Robin Page, Otto Mühl, Henri Chopin, Al Hansen, Werner Schreib, John J. Sharkey, Ivor Davies, John Latham, Susan Cahn, John Sexton, Kurt Kren, Bryant Patterson, Peter Weibel und Yoko Ono. Seit 1962 führte Ortiz Pianodestruktionen durch, zunächst in Brooklyn, dann, ab 1966 vor Kunstpublikum. Beim "Duncan Terrace Piano Destruction Concert London 1966" ist es das Instrument von Jay und Fran Landesman, das geopfert wurde. Das Konzert wurde kommentiert von Tom Lopez. (Herbert Kapfer) DIAS, London, 1966 Drei Begriffe, die Geschichte schrieben, zumindest in der Kunst, zumindest in der Gegenwart, zumindest für einige Leute. Ich bin einer davon. Swinging London, von Richard Hamilton veredelter und in seiner Druckgraphik gespeicherter, wenn nicht gar immortalisierter Ausdruck der Daily Yellow Press, beeindruckte die kleine Wiener Avantgarde-Gruppe (G. Brus, K. Kren, O. Muehl, H. Nitsch, P. Weibel) 1966 tief. In Wien wurden wir zu keinen Partys eingeladen, sondern sogar, wenn z. B. Fasching in der Wiener Secession war, ausgeladen. In London waren wir Ehrengäste auf Partys in Palästen und Kellern. Die Presse in Wien mied uns, die Presse in London suchte uns auf. Die Mädchen riefen von offenen Fenstern um Mitternacht auf die Straße, ob wir nicht zu ihnen hinauf kommen wollten zum Tanzen. Die Musik spielte Tag und Nacht, überall. Die Kleidung in den Straßen war so exzentrisch wie in Wien quasi. Das Leben schien paradiesisch, die verfemte Avantgardekunst wurde gefeiert. Brus schrieb nach Hause, verfrüht, er werde zum Millionär. Ich war 22 Jahre alt, der Jüngste zwischen Vostell und Metzger, spürte den Konkurrenzdruck untereinander, die Sucht nach Medienaufmerksamkeit, die Übertreibungsstrategien, aber auch den Aufbruch, das Wagnis, die gemeinsamen Interessen. Ein revolutionäres Festival, das der geschichtlichen Periode entsprach und in London seine adäquate geopolitische Position fand. DIAS war nicht in New York, zu populär, nicht in Paris, zu parfümiert, nur in London möglich und nur 1966, dem Vorabend der Revolte. (Peter Weibel) Eine Erinnerung an das "Duncan Terrace Piano Destruction Konzert" beim "Destruction In Art Symposium" in London, England 1966 Es war ein besonderes Konzert, mein erstes in Europa. Das Publikum war geladen. Darunter auch zwei Kuratoren der TATE. Hinten, in sicherem Abstand, justierte ein Photograph sein Objektiv, wartete darauf, Bilder von diesem Ereignis zu machen. Sorgfältig prüfte ich das Piano. Es war ein gutes, mit Einlegearbeiten über der Tastatur, der Rahmen gußeisern. Es war schön poliert und perfekt gestimmt, sein Klang voll und weit ausgreifend. Ich hatte ein gutes Gefühl und dankte dem Klavier, daß es mir die Möglichkeit eröffnete, seinen heiligsten Ort zu betreten und seine geheimsten Klänge zu entdecken Musik, die allen, die je auf seinen Tasten gespielt und seine Pedale gedrückt hatten, verschlossen geblieben war. Ich dankte ihm, daß es sich dem Akasha des Klangs opferte, daß der Engel seine Stimme erhebe im Holz, in den Stahlsaiten, in den elfenbeinernen Taten, in den Schrauben, den Bolzen und dem Leim, die seine levitische Bestimmung in Geiselhaft hielten. Das würde sich in den Schlägen meiner Axt zu erkennen geben. Ich betete als ich meine verchromte Axt schwang, Licht blitzte auf bei jedem Schlag, Reflexe vom Chrom des Axtkeils. Alles lief so wie geplant, so wie ich das Konzert komponiert hatte. Wie ich mir die Tage zuvor schon jeden einzelnen Axthieb vorgestellt und den Klang gehört hatte, der jeden einzelnen Schlag begleiten würde. Ich verlor das Gefühl für die Zeit. Ich wurde eins mit der Stimme des Pianos. Ich erinnere mich, wie jemand rief ruhen Sie sich aus, Sie brauchen eine Pause. Ich hielt inne und betastete zwei oder drei Minuten lang die Stücke, die überall verstreut lagen. Ich drängte mich nah ans Piano, sein Rahmen sichtbar in seinem zertrümmerten Körper, ich preßte mein Ohr an den zerschlagenen, harfengleichen Gußrahmen und lauschte. Ich habe mehr zu sagen, flüsterte er, viel mehr zu sagen. Etwa fünfzehn Minuten vergingen als das Piano mich durch das Splittern des Sperrholzes anschrie einst ordentlich ausgebreitet unter dem was jetzt nur mehr ein Gewirr von Axthieben zerhauener Saiten war. Für ein paar Minuten erklangen ein Nachhall und ein Flüstern, ich habe alles gesagt, was ich sagen will. Behalte den Rahmen zum Angedenken an mich und verbrenne meine Reste auf dem Scheiterhaufen, auf daß mein Geist sich erhebe und sich mit meiner Stimme vereine. Blitzlichter und Fragen lenkten meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf den Treppenraum und das Piano, das ich zerstört hatte, als ich einen Schritt machte, stürzten Klavierteile die Stufen hinunter in den Raum, wo das Publikum stand. Die Kuratoren des Tate Museums standen leicht benommen. Einer der beiden sagte, noch nie habe ich jemand so in seine Kunst versunken gesehen. Es gab noch mehr Kommentare und Fragen. Eine Stunde verging, ich ging nach oben und trank ein Glas Wein und tunkte ein Stück Brot hinein und aß es so wie manche es mit einem Donut und Kaffee tun. Dank dir, daß du mich zu einem Teil von dir werden ließest, wie ein schöner flacher Stein, eine perfekte ovale Form, der sich bequem zwischen die Finger fügt von Daumen und Zeigefinger in der Form eines C gehalten, die Knie leicht gebeugt, der Rücken leicht zurückgebogen, der Arm für den Wurf nach hinten gestreckt, drei Schritte vor und loslassen, sich dabei vorstellen, wie der Stein niedrig und flach über die Oberfläche des Sees fliegt, die Wirklichkeit betrachten, die man sich vorgestellt hatte wenn der Stein hüpft und die Gesichtshaut des Sees berührt, hüpft und berührt, hüpft und berührt, wie zarte Küsse, wie ein Abschiedsgruß, bis er an Schwung verliert und kreiselnd versinkt wie es flache Steine tun, wenn sie sinken. (Raphael Montañez Ortiz, 28. April 2008) "Beschleunigter Zerfall. Piano Destruction Concert 1966. Remix" Aus einem Interview mit Loopspool Bei der Bearbeitung war es mir wichtig, dass der dokumentarische Charakter, der die Originalaufnahmen kennzeichnet, erhalten bleibt. Die Authentizität des Zeitbildes, das durch diese "Fieldrecordings" vermittelt wird, empfand ich als einen der interessantesten Aspekte des Ursprungs-Materials. Jedes Kunstwerk ist naturgemäß an seine Entstehungszeit gekoppelt und seine Bedeutung ändert sich mit dem sich verschiebenden Rezeptionsblickwinkel späterer Epochen. In dem Maße wie es an zeitbezogener (Spreng)-Kraft verliert, erhöht sich sein Wert als Medium das uns historische Einblicke eröffnet. Mir würde eine öffentliche Piano-Zerstörung heutzutage als eine Art Abreaktions-Folklore erscheinen. Die Entscheidung, Destruktion als Medium in die Kunst einzuführen, war nur deshalb von so radikaler Schärfe, weil sie genau zu dem damaligen Zeitpunkt der folgerichtige Schritt in der sich vollziehenden Moderne war. Einerseits suchte man nach adäquaten künstlerischen Ausdrucksformen, die den apokalyptischen Katastrophen der ersten Jahrhunderthälfte Rechnung tragen, andererseits befand man sich am Beginn eines Befreiungswahns auf allen Ebenen. Der neue antiautoritäre Mensch, der Horizont einer von jeglichen Zwängen befreiten Gesellschaft, schien zum Greifen nahe und diese Halluzinationen setzten ungeheure Energien frei. Jedwede Struktur wurde als autoritär empfunden und deren Zerstörung schien eine Wollust auszulösen, die wir heute nur noch erahnen können. Ich fühle mich an die nietzscheanische große Geste erinnert, an den Pathos von Zarathustras Ausruf: "Zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!". Für uns, die wir einer Zeit angehören, in der nur noch einige Possenreißer oder Nostalgiker in das utopische Horn blasen, hat sich hingegen die Gewissheit durchgesetzt, das jede Befreiungsbewegung zugleich einen Schritt nach vorn und den Auftakt zu einem Niedergang darstellt, so dass wir von derartiger Euphorie radikal geheilt zu sein scheinen. Das "Piano Destruction Concert" würde wohl ins musikalische Kuriositätenkabinett gehören, wenn es sich allein in diesem Kontext erschöpfte. Für mich enthält das Kunstwerk aber Motive, die über die künstlerische Debatte der 1960er Jahre hinausweisen. Die Konfrontation mit dem Gewaltpotential des Menschen, die Ortiz vorführt und intendiert, ist eine zeitübergreifende Konstante. Der brachialen Intensität der Töne, die Ortiz dem Piano abringt, indem er es vergewaltigt, kann man sich kaum entziehen - sie versetzen auch den heutigen Hörer in einen Zustand gebannten Erschauderns und haben nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Einen präventiven Kommentar zur Apokalypse abgeben zu wollen und dabei zugleich Teil dieser zu werden, ist das Dilemma, das ich in der Destruktionskunst sehe. Dass Ortiz die Struktur, die er zerstört, gleichsam erhöht und bestätigt, ist die sublime Botschaft dieser Aktion und so hinterlässt er uns auch die (Wieder-)Entdeckung des Wertes: Piano. Für mich als Musiker erscheint es wichtig, zwischen Aggression und Destruktion zu unterscheiden. Aggression als Wesenszug des Menschen eine künstlerische Form zu geben, wie Ortiz es auf denkbar radikale Art getan hat, ist in der populärer Musik in abgemilderter Form ein gängiges Prinzip. Der aggressive Gehalt einer musikalischen Struktur kann, wie man weiß, beim Musiker wie beim Hörer zu einer rituellen Entäußerung seines Aggressionspotenzials führen, die gelegentlich ungeahnte Glücksgefühle freisetzt. Raphael Montañez Ortiz hat diesem Prinzip ritualisierter Aggression ein Denkmal gesetzt. (Interview: Katarina Agathos / Loopspool)weiterlesen

Dieser Artikel gehört zu den folgenden Serien

Sprache(n): Englisch, Deutsch

ISBN: 978-3-943157-38-3 / 978-3943157383 / 9783943157383

Verlag: belleville

Erscheinungsdatum: 30.11.2008

Komponiert von Raphael Montanez Ortiz, Loopspool
Herausgegeben von Tom Lopez

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