Dynamisches Wissen
Die Einschränkung der Möglichkeit
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Ein Physiker, ein Evolutionsbiologe und ein Historiker sitzen gemeinsam an einem Tisch und debattieren. Jeder argumentiert aus seinem jeweiligen Fachwissen heraus. Ist es nun tatsächlich so, dass der Physiker 'wirkliches Wissen' vermittelt, der Evolutionsbiologe nur Erklärungsskizzen
über kontingente Phänomene bereitstellt, und der Historiker versteht, aber nicht erklärt?
Wissen, so bereits die griechische Philosophie, ist Trennung vom Schein durch Methode. Paradigmatisch als Methode wurde die mathematisch-formale, und paradigmatisch
mit ihr die physikalische Wissenschaft. Für die Philosophie und Wissenschaftstheorie ergab sich so eine Engführung des Problems Wissen an der (theoretischen)
Physik; ihre Methode, ihre Rechtfertigung und Begründungsstrategie wurde zum Leitbild. Wissen und Erklärung in anderen Disziplinen sind dann entweder unvollständig – noch nicht erreichte Reduktion – oder Wissen selbst ist in sich pluralistisch, bis hin zur reinen Erzählung eines 'anything-goes'.
Die drei oben genannten Wissenschaftler jedenfalls sind jeder für sich sicherlich überzeugt, Wissen auszudrücken,
Wissen zu vermitteln, über Wissen zu verfügen. Irren sie, oder irrt die Philosophie?
Dieses Buch vermutet das Irrige bei der Philosophie, sucht also einen neuerlichen Anlauf zum Verständnis von Wissen und Wissenschaft. Dabei wird keinerlei spezifischer
Methode der Vorzug eingeräumt, vielmehr wird der Anspruch, wie er in der Forderung nach methodischer
Ablösung des Wissens vom Schein erhoben ist, auf die Bedingungen seiner Einlösbarkeit hin untersucht. Es zeigt sich, dass dieser Anspruch nur einzulösen ist, wenn Selbstbegründung der Methodik und weitestgehende Offenheit für deren Anwendung sich verbinden.
Diese Anforderung führt zu der Konzeption offener Möglichkeitsräume, als deren Einschränkung jeder Prozess
von Wissenserstellung zu verstehen ist. Der Boden formal-logischer Sicherheit, auf der aufbauend sich Wissen
und Wissenssysteme rechtfertigen, ist damit verlassen.
Es gilt jetzt, offene, unendliche Möglichkeitsräume – Deklaration epistemischer Freiheit – auf Sinn und Wissen hin zu reduzieren. Wissen und Wissenserstellung wird so zu einem hochdynamischen, kreativen Prozess der Reduktion offener Möglichkeitsräume. Erst mit diesem
Reduktionsprozess entstehen spezifische Methoden im klassischen Sinne. Wissen entsteht nach dieser Auffassung
also nicht in einer Engführung entlang paradigmatischer
Methodik, vielmehr muss es in einem dynamischen Herstellungsprozess der unausgezeichneten Möglichkeit selbst abgerungen werden.
Die Forderung nach methodischer Rechtfertigung bleibt gleichwohl bestehen, nur wird Methode nunmehr zu einem Metamodell der prozessualen Wissenserstellung,
und erst in der Durchführung eben dieses Prozesses
werden spezifische Methoden, disziplinstypische Regeln, sogar Tatsachen, Objektauszeichnungen und deren Relationen mitbestimmt. Der Prozess entwickelt in seiner Durchführung erst seine eigenen Regeln.
Dieser Prozess nun wird verstanden als Erstellung von Wegen durch den Möglichkeitsraum. Solche Wege lassen sich erzählen, es entstehen narrative Wegbeschreibungen.
Diese müssen von rudimentären Erzählungen zu akzeptierten Erklärungserzählungen werden, an diese erzählten Wege knüpfen sich also die Kriterien für Akzeptanz
und schließlich Wissen.
Erzählte Wege – narrative Ketten – im Möglichkeitsraum
sind mögliche Wege, sie können auf unterschiedliche
Weise verändert werden. Aber, sie verändern auch ihrerseits die Struktur des Möglichkeitsraumes, sie schränken ihn ein. Diese rückgekoppelte Dynamik etabliert
schließlich einen simulativen Reduktionsprozess, hin auf stabile, dichte, akzeptierbare Erklärungserzählungen,
deren Dichte, Stabilität und Akzeptierbarkeit sich den Einschränkungsbedingungen ihres eigenen Zustandekommens verdankt.
Wissen wird hier also verstanden als narrative Simulation
auf offenen Möglichkeitsräumen, ein Wissenssystem als die umfassende Einschränkung der Möglichkeit von Gestaltform und dies als die formative Metaphysik der Naturgesetzlichkeit. Die Möglichkeitsmetaphysik liegt jedem Wissensstreben insbesondere der Wissenschaften systematisch voraus.
Im ersten Teil dieser Arbeit wird die beschriebene Konzeption entwickelt und dargestellt, in welcher Weise sie die Begriffe klassischer Wissenschaftstheorie – Tatsache,
Beobachtung, Prinzipien, Naturgesetze, theoretische Begriffe, Hypothese, Prognose – aufnehmen und verorten
kann. Im zweiten Teil wird nachgewiesen, wie diese Konzeption es vermag, als einheitliche Auffassung die Physik, die Biologie, insbesondere Evolutionsbiologie, und die Geschichtswissenschaften zu erfassen. Damit sind mathematisch-formale, historisch-kontingente und historisch-interpretative Wissenssysteme unter dem einheitlichen
Wegebild des Wissens gemeinsam beschrieben. Die strukturellen Differenzen dieser Fächer, die hierbei überbrückt werden können, in ein einheitliches Bild zu integrieren, gestattet daher die Behauptung, eine neue Einheit der Wissenschaften fundiert zu haben. Wurde in Teil I die Konzeption theoretisch entwickelt und in Teil II ihre Anwendbarkeit auf so unterschiedliche Wissensbereiche
nachgewiesen, so werden in Teil III die Dynamik
sowie die Kriterien zur Abgrenzbarkeit wissenschaftlicher
Erklärungserzählungen von allen anderen Erzählformen dargestellt. Hier wird aufgewiesen, dass die neue Konzeption keinesfalls als Aufweichung 'harter
' Kriterien zu verstehen ist, sich also einerseits von formal-methodischer Engführung aber auch andererseits von einem 'anything-goes' absetzt. Der abschließende Teil IV schließlich untersucht noch einmal eingehend die zentrale Konzeption des Möglichkeitsraumes respektive der Möglichkeit selbst und beschreibt die Konsequenzen der Gesamtkonzeption für die Ordnung der Modalitäten Möglichkeit, Notwendigkeit und Kontingenz. Den Abschluss
bilden Überlegungen zum Verhältnis von Wissen und Wirklichkeit.weiterlesen
44,90 € inkl. MwSt.
kostenloser Versand
lieferbar - Lieferzeit 10-15 Werktage
zurück