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Ein Leben für die Psychoanalyse

Anmerkungen zu meiner Zeit

Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)

Dies ist ein mehrschichtiges Buch. Es mündet in die Analyse von brennenden Problemen unserer Gegenwart. Es schildert Verhältnisse und Entwicklungen der letzten siebzig Jahre. Es ist Lebensgeschichte und Werkgeschichte des Autors, beides jedoch nur insoweit, als damit eine Erklärung seiner Interessen and Zielsetzungen in Wissenschaft und Politik gegeben wird. Mitscherlichs Vorfahren väterlicherseits waren Chemiker von Weltruf. Der Vater, Nationalist, Monarchist, leitete eine Fabrik; er beherrschte die Familie, eine lebenszugewandte Frau, den zu depressiven Stimmungen neigenden, ihm zunächst vergeblich nacheifernden, dadurch in Opposition geratenden Sohn. Die Vereinsamung des Studenten, in Mitscherlichs Fall in der Universitätsstadt München, die zahlreiche andere zur Flucht in die Verbindungen – und oft in nationalsozialistische Gruppen – bewog, veranlaßte Mitscherlich zur Suche nach einem Mentor, den er für kurze Zeit in Ernst Jünger, später in dem Soziologen und Führungsmitglied der USPD Ernst Niekisch, lebenslang in Sigmund Freud fand. Abkehr vom Vater hatte die Wahl des Geschichtsstudiums bestimmt. 1932 zwang die politische Situation Mitscherlich zur Einsicht, daß unbehinderte Forschung in den Geisteswissenschaften bald nicht ehr möglich sein werde. Eine Buchhandlung in Berlin, die seiner politischen Überzeugung – Freier Sozialismus – Ausdruck gab, mußte er aufgeben. Durch das Medizinstudium in Zürich entging er zunächst politischer Inhaftierung. Nach seiner Entlassung war er froh, unter der Leitung Viktor von Weizsäckers in Heidelberg weiterstudieren und sich immer entschiedener der psychosomatischen Medizin und Psychoanalyse widmen zu können. Da »nicht belastet«, wurde Mitscherlich nach Kriegsende von den Amerikanern zum Minister in dem kurzlebigen Land Mittelrhein-Saar ernannt. Als das Gebiet der französischen Besatzung überlassen wurde, entschloß er sich endgültig gegen die Politik und für die Medizin. Im Auftrag der Westdeutschen Ärztekammer war er 1946 Beobachter beim Nürnberger Ärzteprozeß. In der Folge schrieb er Diktat der Menschenverachtung und Medizin ohne Menschlichkeit, frühe Dokumentationen der »Unfähigkeit zu trauern«. Mitscherlich, der Professor in Heidelberg und seit 1960 Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt war und den Wiederaufbau der Psychoanalyse entscheidend betrieb, gehörte später zum Lehrkörper der philosophischen Fakultät in Frankfurt. Von beiden Städten aus pflegte er intensiven Lehr- und Erfahrungsaustausch mit dem In- und Ausland, insbesondere mit den USA, der Tavistock- Klinik und dem Psychoanalytischen Institut in London. In seinem Bestreben, die Psychoanalyse in anderen Fachgebieten anzuwenden, stieß er auf Geschichte und Politik und auf bestimmte Aspekte der Soziologie. So entstand das Buch über Die vaterlose Gesellschaft, unsere, durch »spurlose Arbeit« gekennzeichnete, technisierte Gesellschaft, die dem Vater nicht mehr erlaubt, Vorbild zu sein. Die Suche nach den Ursachen von Aggression und Identitätsverlust führte zur Studie über Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 1965, und zu den Thesen zur Stadt der Zukunft, 1975. Aggression, ihre Heilung durch Sublimierung, kritische Humanisierung und humaner Städtebau sind nach Mitscherlich zwei der »Großprobleme« der Zeit. Unsere Einstellung zur Sexualität provoziert deren weitere. Schamverlust und Tabuverlust haben keinen echten Fortschritt gebracht, da die sexuelle Freiheit nur von äußeren Schranken, nicht von neurotischen Beschränkungen oder Konflikten befreite. Das Ende der offiziellen, die untergründige gleichzeitige Aufrechterhaltung der doppelten Moral schwächt das Sicherheitsgefühl des Kindes. Vermarktung der Sexualität führt zur »repressiven« Toleranz (Marcuse) und zur Entleerung der menschlichen Gefühlswelt. Sie endet bei Selbstentfremdung, dadurch – zugunsten der puren Sexualität – beim Verlust der das Ich bereichernden Erotik. Freuds Formel: »Wo EsIchweiterlesen

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-518-03640-2 / 978-3518036402 / 9783518036402

Verlag: Suhrkamp

Erscheinungsdatum: 06.10.1980

Seiten: 323

Auflage: 1

Autor(en): Alexander Mitscherlich

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