Eine andere Sprache
Zu Friedrich Hölderlins Großer Pindar-Übertragung
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Hölderlins Große Pindar-Übertragung, um 1800/1801 entstanden, gilt als einer der sperrigsten Texte der deutschen Literatur des 18./19. Jahrhunderts; gleichwohl ist ihre Bedeutung für Hölderlins Spätwerk einerseits und für die philosophische Übersetzungstheorie andererseits unbestritten. Hölderlins Übersetzung entwirft eine liminale, eine schwellenhafte Sprache, in der sich, mit einem Wort Walter Benjamins, zwei Sprachen in der Anbildung der Art des Meinens berühren. Felix Christen zeigt durch genaue, am Text sich bewegende Untersuchungen zur Wortstellung und Syntax, wie die Übertragung vom Griechischen ins Deutsche – die Wort für Wort der griechischen Vorlage folgt – nicht eindeutig zu unterscheiden weiß zwischen den Sprachen. Beide, Griechisch und Deutsch, sind sich wechselseitig Fremde, Gast und Gastgeber; sie sind sich, mit einem bei Pindar zu lesenden Wort, das diese Bedeutungen umfasst: xenos. Die Selbstbezüglichkeit, konstitutiv für poetische Sprache, erhält dabei einen neuen Sinn: eine Richtung hin auf den andern, den zu übersetzenden Text, der sich im autos der Autoreferentialität verbirgt und eine Reflexion auf den Prozess, den Gang der Übertragung ermöglicht. In diesem Sinn ist Hölderlins Übersetzung transzendentalpoetisch, weil sie, nach Schlegels Forderung an die Dichtung, sich selbst mit darstellt und mithin die ihr implizite Poetologie eine Theorie der Übersetzung ist. Die Lektüre solcher Übertragung ist selbst nicht ohne Ort; sie begreift Interpretation als Fortgang der Übersetzung, als Lesen, das zu keinem Ende findet und, die Dichtung durchquerend und ihr fremd, abbricht.
Eine frühe übersetzungstheoretische Äußerung in einem Brief an Neuffer, in der Hölderlin die Befürchtung exponiert, dass eine Sprache, „die zu lange in fremdem Dienste gelebt“, „nie mer ganz der freie reine, durch gar nichts, als durch das Innre, so und nicht anders gestaltete Ausdruk unseres Geistes werde“, setzt eine Grenze, die zu überschreiten zur äußersten Aufgabe des Übersetzers wird. Hölderlins Übersetzung verbleibt nicht im Bereich der eigenen Sprache, sondern entwirft – gerade dort, wo sie nur mechanisch verfährt und die Züge der Kurrentschrift der griechischen Druckschrift buchstäblich folgen und sich damit ihr aussetzen – ein ethisches Verhältnis, ein Verhältnis zum Anderen. Deshalb muss die Lektüre dieser Übertragung den Wörtern, den Buchstaben nachgehen und kann zugleich – verwurzelt im grammatischen, im buchstäblichen Lesen – die Frage nach der Richtung der Übersetzung neu stellen. Ihr Gehalt ist nicht die Wiedergabe einer Bedeutung, eines zuvor Gegebenen, sondern liegt im Verhältnis der Sprachen und einer Darstellung dieses Verhältnisses. Die Große Pindar-Übertragung ist ein Drittes – tertium datur – zwischen den Sprachen und deutet auf eine andere Sprache, deren Logik nicht dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten folgt, sondern einer Logik der Berührung, eines erhofften Händedrucks.weiterlesen
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