Emotionale Intelligenz und richterliche Urteilsbildung
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Die Untersuchungen zu Strafzumessungsdisparitäten haben eine lange Tradition in der Rechtspsychologie und Rechtssoziologie. Die amerikanischen Studien haben in diesem Zusammenhang den Prozess der Urteilsfindung und die damit verbundenen Entscheidungen von Geschworenen zum Gegenstand. Im deutschsprachigen Raum wurde eher auf die Begutachtung der Glaubwürdigkeit von Zeugen Wert gelegt. Bis vor ein paar Jahren war das Interesse für Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger nicht besonders groß. Erst durch zahlreiche sozialpsychologische Studien, die eine Verzerrung des richterlichen Urteils nachweisen konnten, wuchs das Interesse an der Untersuchung vermuteter Zusammenhänge von emotionalen Prozessen bzw. von Persönlichkeitsmerkmalen und von richterlicher Rechtsprechung als berufliche Aufgabe. Trotz gleicher Beweislage wie z. B. die Anzahl und die Art der Eintragungen im Bundeszentralregister, Alter, Bundesland, Milieuzugehörigkeit sind die Unterschiede in der Strafzumessung gravierend. Der Prozess richterlicher Urteilsfindung und die damit verbundene Strafzumessung basiert auf einer langen Kette von Entscheidungen. Aufgrund jüngerer neurowissenschaftlicher Befunde wissen wir, dass neuronale Strukturen die für die Entstehung von kognitiven Leistungen sowie Zentren die für die Entstehung von Gefühlsprozessen verantwortlich sind, im engen Interaktionsprozess stehen. Dabei ist der präfrontale Cortex und das limbische System, insbesondere die Amygdala von Bedeutung. Wenn Entscheidungen getroffen werden, geschieht dies nicht nur aufgrund der Fakten die zur Verfügung stehen, sondern auch weil Gefühle dabei behilflich sind, die Fülle an Entscheidungsmöglichkeiten vorab zu selektieren. Ohne diesen Prozess wäre die Entscheidungsfindung ein kaum zu bewältigender Kraftakt. Der bekannte Neuropsychologe Damasio (1998) schildert dieses Problem eindrucksvoll in seinem Werk „Descartes Irrtum“ am Fall von Phineas Gage, der nach einem schweren Unfall zwar keine sichtbaren Anzeichen einer Verletzung aufwies, aber trotzdem nicht mehr in der Lage war seinem Leben in gewohnten Bahnen nachzugehen.1 Es stellte sich heraus, dass beim Unfall Gehirnbereiche beschädigt wurden, die dafür verantwortlich sind, die große Anzahl an Entscheidungsmöglichkeiten zu selektieren, um letztendlich eine für die Situation adä- quate Entscheidung zu treffen. Damasio fand heraus, dass bestimmte neuronale Mechanismen, die sogenannten somatischen Marker, diesen Selektionsprozess unterstützen, indem sie während der Entscheidungsfindung spezifische Alternativen mit einer positiven bzw. negativen Empfindung „markieren“. Manchmal laufen die somatischen Marker verdeckt ab, wenn bsp. aus Intuition entschieden wird. Der Prozess der richterlichen Urteilsbildung ist nachweislich verschiedenen Einflussfaktoren ausgesetzt. Entscheidungen werden in den meisten Fällen auf Basis von beruflichen Erfahrungen bzw. von alltagspsychologischem Wissen getroffen. Das materielle Strafrecht und die Strafprozessordnung bestimmen den Strafrahmen. Jedoch bleibt ein gewisser Handlungsspielraum und es stellt sich die Frage, wie sich dieser letztendlich auf die Strafzumessung auswirkt. Neben gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt es weitere Faktoren, die einen maßgebenden Einfluss auf die Strafzumessung haben. Der Prozess der richterlichen Urteilsbildung wird von verschiedenen Faktoren, wie z.B. richterliche Wahrnehmung, Gesprächen, die vor bzw. nach der Verhandlung mit Prozessbeteiligten und Kollegen geführt werden, Einzeloder Kollektivurteilen, Vernehmung von Zeugen bzw. Gutachtern, vermutlich auch vom Geschlecht des Richters und des Angeklagten, sowie vom beruflichen Erfahrungswissen beeinflusst. Aufgrund umfangreicher Literaturrecherchen zum Konstrukt der Emotionalen Intelligenz, und zum Strafrecht, sowie einer explorativen teilnehmenden Beobachtung und Experteninterviews mit Strafrichtern, sollen Ergebnisse für einen vermuteten Einfluss von Emotionaler Intelligenz auf den Proweiterlesen
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