Entgrenzungen
Ein europäischer Beitrag zum Diskurs der Moderne
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Im 20. Jahrhundert bilden sich in der euroamerikanischen Philosophie drei paradigmatische Haltungen gegenüber der Moderne heraus: Eine radikale Aufklärungskritik entlarvt das neuzeitliche Denken als ein planetarisch wucherndes Machtsyndrom ohne Auswege aus der Krise
weisen zu können (Heidegger, Horkheimer/Adorno, Foucault); die philosophische Postmoderne, die die Moderne auf ein kulturelles Phänomen reduziert, setzt die emanzipatorischen Errungenschaften der Neuzeit aufs Spiel (Rorty, Lyotard); Verteidiger der Aufklärung bestimmen die Moderne als einen vorläufigen Endpunkt
eines menschheitlichen Lernprozesses, ohne die kulturimperialistischen Implikationen ihrer Deutung hinreichend zu reflektieren (Habermas).
Vor diesem Hintergrund wird in dieser Arbeit der Versuch
unternommen, die Moderne jenseits der Alternative 'Vernunft versus Macht' als einen vielschichtigen Prozess
von Entgrenzungen zu beschreiben, in dem von Anfang
an rationale Durchbrüche und kulturelle Visionen miteinander verschmolzen sind. Den Ausgangspunkt der Analyse bilden die frühneuzeitliche Astronomie und – angestoßen durch die Kolonialismuskritik der latein-amerikanischen Philosophie – die transozeanische Expansion
Europas im 15. Jahrhundert. Da Kosmologie und Geographie in der Antike jeweils mit anthropologischen, moralischen und politischen Vorstellungen eng verbunden
sind, führen die Entgrenzungen der ptolemäischen Kosmologie und der Ökumenegeographie zu einem umfassenden
kulturellen Umbruch, der sich bereits in der Philosophie der Renaissance in einem komplexen Spiel von 'Entgrenzungen' manifestiert: Nikolaus von Kues gelangt noch vor Kopernikus durch eine neue Philosophie
des Absoluten zur Vorstellung eines grenzenlosen Universums; im Bann der Idee einer immanenten Unendlichkeit
der Welt vollzieht Cusanus darüber hinaus eine epochal bedeutsame Aufwertung unersättlicher Weltneugier,
in der die traditionellen Vorbehalte gegenüber der curiositas im antiken und christlichen Denken zurück-gedrängt werden. Pico della Mirandola überwindet die essentialistische Anthropologie der Antike durch die Idee einer schöpferischen Selbstgestaltung des Menschen, die von Montaigne zum typisch neuzeitlichen Ethos einer experimentellen Selbsterkundung bzw. Selbstkreation fortentwickelt wird. Francisco de Vitoria hingegen entwirft
unter dem Eindruck der Eroberung Amerikas einen neuen Kosmopolitismus, in dem sich eine Fülle an epochalen
Innovationen findet: eine philosophisch fundierte Völkerrechtstheorie, die Utopie einer kommunikativ verfassten Weltgesellschaft, die Ausweitung moralisch-politischer Verantwortung auf die gesamte Menschheit bis hin zur Pflicht zu humanitären Interventionen.
Wie in der Philosophie der Renaissance so sind auch in den philosophischen Grundlegungen moderner Wissenschaft,
Politik und Ökonomie jeweils rationale Elemente und kulturelle Perspektiven miteinander vermengt: Bei Francis Bacon verbindet sich das Programm einer experimentellen
Naturwissenschaft mit der Vision einer vollständigen Entfesselung der produktiven Kräfte von Mensch und Natur; Thomas Hobbes konstruiert den modernen Staat im Ausgang vom extremen Szenario der universellen Entfesselung der Macht; John Locke gelangt von der Rechtfertigung der Geldwirtschaft zur Idee eines grenzenlosen ökonomischen Wachstums.
Wenn die Moderne zugleich ein Prozess der Aufklärung und ein kulturelles Projekt ist, sind sowohl Proklamationen
über das Ende der Geschichte als auch religiöse und säkulare Varianten eines Antimodernismus zu verabschieden.
Einen Ausweg aus den verengten Bildern der Moderne, die auch realgeschichtlich in immer neuen Gewaltexzessen aufeinanderprallen, kann nur ein interkultureller
Diskurs über die Moderne weisen, in dem alle Kulturen sowohl ihre aufklärerischen Traditionen als auch ihre kulturellen Visionen einbringen.weiterlesen
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