Wir Menschen werden hineingeboren in mannigfaltige Zusammenhänge und eine vielfältige Geschichte. Ungefragt werden wir Erbinnen und Erben. Geschieht das ohne Verpflichtung? Treten wir eine Erbschaft an, die uns ohne Testament, ohne persönlichen Auftrag übergeben wird?Plausibel erscheint dagegen, dass wir in einer Tradition stehen, die uns die Dinge benennt, auswählt und mit Werten versieht. Wir sind eingebunden in die Naturgeschichte. Sprache formt uns, und wir formen unsere Umgebung durch Sprache. Wir tragen das Erbe einer langen Menschheitsgeschichte mit und in uns. Ohne Tradition gibt es keine Geschichte. Nur auf ihr kann das Werden aufbauen, als Auseinandersetzung mit dem Bewährten und Verworfenen. Dazu braucht es bewusstes Erinnern ebenso wie das Ahnen der persönlichen Verwicklung ins historische Geflecht. In ihrem neuen Buch geht Maja Wicki-Vogt diesen Fragen grundsätzlich nach, um sie dann an herausragenden Figuren der europäischen Geistesgeschichte zu konkretisieren. Nach ihren Frauenporträts im Band ›Kreative Vernunft‹ setzt sie sich jetzt vor allem mit dem Beitrag von Männern auseinander: Sigmund Freud, Arnold Zweig, Franz Kafka, Walter Benjamin, Ludwig Wittgenstein. Sie zeigt, wie sich diese Schriftsteller und Philosophen ihrer Herkunft vergewissern, wie sie daran arbeiten, um zukunftsgerichtet ein lebenswertes Leben zu gestalten. So entsteht ihrerseits eine Tradition reflexiver Humanität. Dagegen steht der hemmungslose ›Fortschritt‹ der postindustriellen Entwicklung als Leugnung der geschichtlichen Verbundenheit. Das unerträgliche Leiden der Moderne ist ein Resultat ihrer Geschichtsvergessenheit und fordert zur Neuorientierung auf.weiterlesen