Balladen, gibt es die noch?
Dieser Frage wollten wir nachgehen, als wir diese Anthologie ausschrieben.
Dabei wollten wir ausloten, inwieweit moderne Sprache mit aktuellen Inhalten sich zur Ballade eignet, ob wir, in balladeskem Gewand, ein Spiegelbild heutiger Befindlichkeit erhalten und ob sich vielleicht neue Formen dieses Genres unter der Wucht der Moderne herausbilden.
Immerhin haben sich viele Balladendichter (Fontane, Brecht, Biermann) zeitgenössischer Themen bedient, wenn wir zum Beispiel an "John Maynard" oder "die Brücke am Tay" denken.
Und, so war unsere Überlegung, wenn man nur die täglichen Nachrichten unter diesem Gesichtspunkt durchforstete, könnte man wahrlich genug "Stoff" finden, aus dem Balladen sind. Annähernd 200 AutorInnen folgten unserem Aufruf, doch erstaunlicherweise hielten sich die meisten an klassische Themen wie Mantel- und Degengeschichten oder gruselige Fantasmen, während nur etwa 30 % moderne Themen wählten, wie Partnerschaftskonflikte, Umweltprobleme, Texte rund um den 11. September, der Wiedervereinigung oder Reise- und Sportschilderungen.
Es ergab sich aber eine überraschend breite Palette: Bänkellieder und Satiren beschreiben mit beißender Komik unsere Gesellschaft, und eine sehr bekannte Literatursendung des Fernsehens wird, unter dem Deckmantel der Fabel, karikiert. Natürlich kommt auch der Sprachwitz nicht zu kurz, ein Sprachwitz, der allerdings oft einen ernsten Kern birgt.
Von besonderem Interesse scheinen uns "Bewußtseinsströme" in Odenform zu sein, die, trotz bisweilen antiker Gewandung (Penelope, Orpheus, Eurydike), zeitgemäße Stoffe aufgreifen oder die sich mit Musik, gesellschaftspolitischen Problemen, Globalisierung, Gentechnik, Umweltthemen und Unglücksfällen unserer hochtechnisierten Gegenwart auseinandersetzen. Hier kehrt die erzählende Ode an ihren Ursprung zurück wenn man bedenkt, daß die germanischen Sprachen erst mit der Christianisierung den Versreim erbten und antike Sänger, wie beispielsweise Homer, "Rhapsoden" (Zusammenfüger von Gesängen) genannt wurden.
In dieser Anthologie scheinen neue (alte) Wege beschritten worden sein, die, jenseits aller angestaubter Abenteuergeschichten einen wegweisenden aktuellen Ansatz bieten: Gewissermaßen moderne Reflexionen mit Tiefgang.weiterlesen