Amerika im Deko-Wahn. Der Sensenmann auf der Veranda, Guillotinen im Garten, überall lechzende Fratzen, schwebende Skelette. "Front Lawn Funerals and Cemeteries" ist ein Bildband, der ein spezifisches Datum im amerikanischen Kalender in ein neues Licht taucht: den 31. Oktober, Halloween, tagsüber aufgenommen in der Agglomeration von Los Angeles. Seit 1984 hält der amerikanische Künstler Cameron Jamie die theatralischen, morbiden Horrorinszenierungen vor Haustüren und in tristen Vorgärten ausserhalb von Los Angeles fotografisch fest. Obwohl er seit 15 Jahren in Paris lebt, reist er jeden Oktober in seine Heimat zurück, um das Spektakel zu besichtigen und seine Langzeitdokumentation mit dessen Abbild zu nähren. Doch "Front Lawn Funerals and Cemeteries" ist kein Buch über Halloween, es geht vielmehr um den melancholischen Kontrast, um das bänglich-nervöse und deshalb verkrampft ironisierte Verhältnis der Gesellschaft zum Tod, um die dekorierte Depression der amerikanischen Agglomeration schlechthin. Dieser Bildband übersetzt die US-Vorstadt kommentarlos mit 'Friedhof' und 'Horrorkabinett' – Themen, die man üblicherweise in die Anonymität und Unverbindlichkeit der Nacht eingebettet findet. Dass Jamies Schwarz-Weiss-Fotografien seit 30 Jahren konsequent bei Tageslicht aufgenommen wurden, verleiht ihnen etwas Ruhiges, Humorvolles, ja beinahe Friedliches. Doch gleichzeitig verdeutlicht genau das Fehlen der Dunkelheit das Kontroverse, das dieser Thematik anhaftet. Die kalifornische Sonne scheint in "Front Lawn Funerals and Cemeteries" ungebremst auf aufgespiesste Plastiktotenköpfe im Rosenbeet, auf Särge, die mit vergilbtem Satin überzogen sind, auf die amerikanische Flagge, die daneben steht. Man wundert sich unweigerlich über diese Orte, über die Welt überhaupt.weiterlesen