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Gegenwartsliteratur. Ein Germanistisches Jahrbuch /A German Studies Yearbook / 9/2010

Schwerpunkte: I. Nach der Postmoderne II. Jüdisch-deutsche Themen III. Nation und Vergangenheit

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Inhaltsverzeichnis: I. Schwerpunkt/Focus: Nach der Postmoderne WOLFGANG MÜLLER-FUNK Nach der Postmoderne: Thomas Glavinic´ apokalyptischer Roman Die Arbeit der Nacht Buchstäblich über Nacht ist in Thomas Glavinic´ Roman die Welt des Menschen abhanden gekommen. Der Held, Jonas, irrt, zumeist mit dem Auto, durch das menschenleere Wien. Die Interpretation konzentriert sich auf drei Momente. Ins Zentrum rückt zunächst das unfreiwillige Spiel mit Identität, das zu Fragmentierung und Verdoppelung des Ichs führt. In einem zweiten Schritt analysiert der Aufsatz die Veränderungen des sozialen und symbolischen Raumes, die den Stadtraum Wien in eine soziale Ruine und in das mediale Museum des letzten Menschen verwandeln. Zuletzt wird die apokalyptische Dimension des Textes diskutiert: dass es nur einen apokalyptischen Menschen gibt und dass das Geschehen ohne sichtbare und äußere Katastrophe vonstatten geht. PATRICK M. MCCONEGHY Angels at the Gate: Guarding Utopia in Daniel Kehlmann’s Mahlers Zeit In Daniel Kehlmann's novel Mahlers Zeit, the protagonist believes he has discovered the formulas that will overturn the Second Law of Thermodynamics, halt increasing entropy, and establish a perfect universe through the elimination of death, disorder, and decay. Kehlmann, however, employs pre-modern metaphysics and narrative strategies from literary modernism to thwart Mahler’s science-based utopia. Supernatural guardians of the current order appear and cannot be dispelled. Inexplicable phenomena from the realm of quantum physics materialize to confuse everyday life, and allusions to Kafka’s Die Verwandlung unsettle the diegetic reality. Within such a dream-like narrative, science cannot triumph. In the end, Kehlmann implies that it is the writer, rather than the physicist, who may offer the best hope for improving the human condition. HILTRUD ARENS “Die Toten erzählen grundsätzlich anders”: Yoko Tawadas postdramatischer Text Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt Der erste experiementelle Theatertext von Yoko Tawada ist im Kontext transnationaler Beeinflussungen zu sehen, die aus dem Gegenwartstheater der 1990er Jahre hervorgehen und den Dialog der Theaterwelten (heraus)fordern. Elemente des Postdramas, wie die Auflösung des dramatischen Ichs, die Aufhebung linearer, logisch sich entwickelnder Handlungsabläufe und das Nutzen der Figuren als Text- und Klangkörper kommen hier verstärkt zum Ausdruck. Aspekte von Identität und poetischer Sprache im Netz von Erinnern und Verwandlung werden anhand poetologischer Äußerungen der Autorin zu Theater, Figurenkonstellationen und dem Erzählen auf der Bühne herausgearbeitet. Mit Hilfe der dramatischen Form und der Möglichkeit der Bühne als liminalem Ort, als Grenze zwischen materiellen und geistigen Welten, können neue Bewusstseins- und Verständnisebenen jenseits des traditionellen Theaters hör- und erfahrbar werden. BRITTA HERRMANN Literaturvermittlung durch (An-)Verwandlung: Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt Literatur entsteht durch aneignende Transformation anderer Texte, die so dem kulturellen Gedächtnis stets neu vermittelt werden. Inhaltlich wie poetologisch wird dies in Ransmayrs Roman Die letzte Welt demonstrativ durchgespielt. Zugleich bezieht er, wie eine wertungsbezogene Analyse zeitgenössischer Rezensionen zeigt, aus seiner palimpsesthaften Machart selbst symbolisches Kapital. Innerhalb der Romanhandlung tragen intertextuelle, aber auch intermediale Transformationen dazu bei, jegliche Vorstellung von Werkherrschaft zu unterlaufen. Verbunden damit, richtet sich der Fokus von der scheinbar dauerhaften Schriftform auf die performativen und materiell-sensuellen Qualitäten literarischer Rezeptions- und Sinngebungspraxis – etwa denen der Stimme in Erzählungen, Lesungen, Rezitationen. Die Hörbuchfassung von 2008 bietet Anlass, die aurikuläre Seite von Literatur auch medien- und literaturtheoretisch zu betrachten sowie nach deren Bedeutung für das literarische Gedächtnis zu fragen. HARTMUT VOLLMER Das erschriebene Leben des “verhinderten Romanschriftstellers.” Über Paul Nizon Beginnend mit dem 1959 publizierten Prosaskizzenband Die gleitenden Plätze bis zum 2005 erschienenen ‘Roman’ Das Fell der Forelle hat sich Paul Nizon, der “deutschschreibende Pariser Autor mit Schweizer Pass” als ein “vorbeistationierender Autobiographie-Fiktionär” verstanden, der das eigene, rastlose Ich und die persönlichen Lebenserfahrungen ins Zentrum des Schreibens rückt. Ziel des Schriftstellers ist es, Lebenswirklichkeit nicht literarisch zu reproduzieren, sondern diese selbst zur Sprache zu bringen, Leben zu vergegenwärtigen und sprachlich zu verwirklichen. Der Verlust existentieller Ordnung bedingt zugleich das konzedierte Scheitern des Autors an der traditionellen Form des Romans, der für Nizon ein überschaubares Leben, als Disposition einer geschlossenen Geschichte, voraussetzt. Das subjektzentrierte, autobiographisch geprägte und gleichzeitig literarisch fiktionalisierte Schreiben Nizons ist die Konsequenz der wirklichkeitsskeptischen und romankritischen Position des Autors. II. Schwerpunkt/Focus: Jüdisch-deutsche Themen WILLIAM COLLINS DONAHUE The Missing Jew in the Mind of the German New Left: Uwe Timm’s Rot as “Rejoinder” to Heißer Sommer The German New Left suffered a blind spot with respect to Jews and the Holocaust. Many protesters applied the term “fascistic” indiscriminately to a host of features of the contemporary political scene, and not a few trumpeted their victimhood by depicting themselves as “today’s Jews.” Yet hardly any of them evinced a sustained interest in the Holocaust (or in “Auschwitz”) per se. Uwe Timm’s Rot (2001) constitutes a sustained “rejoinder” to Heißer Sommer (1974), which today is considered a classic literary account of the student movement. By compelling his aging ’68er, Thomas Linde (protagonist of Rot), to confront why he and his cohort failed to “agitate for the Jews,” Timm calls into question the lacunae not only of his own earlier novel, but of the movement itself. HELMUT PEITSCH Exilschriftsteller jüdischer Herkunft in W. G. Sebalds germanistischer Rezeption Ein Literaturkritiker hat behauptet, Sebalds Bücher über jüdisches Leben hätten ihn dazu legitimiert, deutsche Opfererfahrung zu ästhetisieren. Sebald machte sich diese Ansicht zu Eigen. Hier wird gefragt, ob Sebalds frühe literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Texten jüdischer Exilschriftsteller ein Schreibprogramm erkennen lässt, das eine solche Rechtfertigung bereits implizierte. Die Arbeiten des Germanisten Sebald über Jean Améry, Elias Canetti, Alfred Döblin, Wolfgang Hildesheimer und Peter Weiss enthalten Aussagen, die belegen sollen, dass die Autoren hinter den Stand moderner Literatur zurückfallen. Es wird zudem gefragt, wie Sebald die ‘jüdische Provenienz’ dieser Autoren bestimmt. Dabei lassen sich Veränderungen in seiner Ästhetik vom Frühwerk hin zum Spätwerk ermitteln. YANNICK MÜLLENDER Intergenerationelle Konflikte in der zeitgenössischen deutsch-jüdischen Literatur: Rafael Seligmanns Prosatexte Der Beitrag erörtert am Beispiel von Rafael Seligmanns Prosatexten die Problematik intergenerationeller Konflikte in der zeitgenössischen deutsch-jüdischen Literatur. Er verortet den Autor zunächst innerhalb der deutschsprachigen Literatur der zweiten Generation und skizziert deren produktionsästhetische Voraussetzungen. Die anschließenden Textanalysen veranschaulichen an ausgewählten Passagen, wie Seligmann das konfliktgeladene Verhältnis von Überlebenden der Shoah und ihren Nachfahren in zwei zentralen Motiven gestaltet: einem durch ambivalente Faszination, Projektionen und Wunschvorstellungen verzerrten Israel-Bild sowie heiklen Liebesbeziehungen junger Juden zu deutschen Nichtjüdinnen. Trotz gezielter Provokationen und Tabubrüche bestimmt dabei ein optimistischer Grundton seine Texte. Diese bezeugen die Hoffnung des Autors auf eine gesellschaftliche Öffnung des deutschen Judentums und auf einen gleichberechtigten Dialog von Juden und Nichtjuden im heutigen Deutschland. SILKE SCHADE Situating the Self: Barbara Honigmann’s Visual and Textual Autobiographies The juxtaposition between Barbara Honigmann’s paintings and texts is examined. It is suggested that painting and writing are complementary sets of vocabulary that the artist uses as modes of self-expression and self-representation. Beginning with an exploration of the German cultural context in which Honigmann places herself, the article continues with a discussion of intermediality, intertextuality, self-portrait, and autobiography. Structured around a close examination of three self-portraits, the article examines the ways in which Honigmann’s paintings and texts critically engage with the work of the artist Paula Modersohn-Becker, with German Romantic painting and writing, with sacred and secular Jewish texts, and with the creative process itself. Through her visual and textual engagement with chosen literary and artistic traditions, Honigmann situates herself within an intercultural artistic space. III. Schwerpunkt/Focus: Nation und Vergangenheit DIRK GÖTTSCHE Colonialism and National Socialism: Intersecting Memory Discourses in Post-War and Contemporary German Literature By cross-mapping Postcolonial Studies and Cultural Memory Studies, this article explores how post-war and contemporary German literature addresses historical connections between German colonialism and National Socialism. It discusses the cross-referencing of colonial memory and Holocaust memory in West and East German novels of the post-war decades as well as in contemporary transgenerational memory narratives, such as Stephan Wackwitz’s novel Ein unsichtbares Land. It provides an overview of the rise of colonialism as a popular theme in historical novels about Africa since the 1990s, whose memory discourses typically exclude National Socialism, and outlines the contrapuntal cross-stitching of both memory themes in Black German literature since the 1980s, which, along with Uwe Timm’s Morenga, contributed significantly to raising critical awareness of German colonialism. KATHARINA GERSTENBERGER Culture and Nation in Michael Lentz’s Pazifik Exil, Günter Grass’s Das Treffen in Telgte, and Christoph Ransmayr’s Die letzte Welt Published between 1979 and 2007, the three novels listed in the title feature historical writers in times of political crisis, and incorporate experiences of exile. In comparing these works, this article analyzes the changing role of the writer within definitions of national culture. Grass’s novel endorses the writer’s engagement in politics; Ransmayr’s work suggests that exile affords artistic freedom. The essay’s main focus, Michael Lentz’s Pazifik Exil, about writers in Southern California in the 1940s, depicts exile as an experience of profound disorientation for the individual artist. Drawing attention to the importance of exile for contemporary definitions of German culture, Lentz’s novel also suggests that the idea of the artist as the representative of German national culture is no longer viable. JOSHUA KAVALOSKI Periodicity and National Identity in Daniel Kehlmann’s Die Vermessung der Welt While Daniel Kehlmann’s 2005 Die Vermessung der Welt demonstrates postmodern tendencies, Kehlmann often distances himself from postwar German literature. This essay explores the novel’s affiliation with modernism by reading it alongside Franz Kafka’s Das Schloß. Kehlmann’s novel is by no means modernist, but it problematizes the organic conception of the Self and utilizes aesthetic and structural techniques that call to mind early twentieth-century literature. The novel also obliquely evokes the early twenty-first century debate about German Leitkultur with ist depiction of Alexander von Humboldt and Carl Friedrich Gauß. By simultaneously celebrating and satirizing these German thinkers, Die Vermessung der Welt challenges the singular, naturalized notion of German national identity, which it figures instead as the site of disparate, irreconcilable forces. NANCY NOBILE A Ring of Keys: Thresholds to the Past in Judith Hermann’s Sommerhaus, später “A Ring of Keys” traces ways in which the narratives in Sommerhaus, später open up onto historical subtexts, both political and literary. It examines Hermann’s figural use of boundary lines, bisected spaces, and thresholds in order to show their function as signals of polyvalent structures. Just as some of Hermann’s characters break through to connection with others or to greater self-knowledge, the structures of her narratives break open onto other levels of meaning. Close readings of all nine stories in the collection reveal the strategies Hermann employs to lend her narratives emotional depth and historical dimension. By means of allegory, intertextuality, self-reflexive structures, and conspicuously highlighted details, she provides readers with hermeneutic keys to her multivalent, intricately crafted texts. ANNE-ROSE MEYER Problem Kulturkontakt: Auslandskorrespondenten in Erzählwerken von Born, Kirchhoff und Buch Die bislang kaum untersuchte Figur des Auslandskorrespondenten ist im interkulturellen Kontext zentral. Autoren nutzen sie, um Fremd- und Eigenwahrnehmungen zu problematisieren, literarisches und journalistisches Schreiben gegeneinander abzuwägen und herkömmliche Vorstellungen vom Journalisten als zuverlässigem Berichterstatter zu demontieren. Nicolas Born, Bodo Kirchhoff und Hans Christoph Buch thematisieren die Diskrepanz zwischen wirklich Erlebtem und dessen journalistischer Verarbeitung. Literatur erhält die Stellung eines Korrektivs zu einer inhaltlich wie sprachlich nur scheinbar ausgewogenen Berichterstattung, die kultur-distinkten Erfahrungen (Kirchhoff) und Kriegsgreuel (Born, Buch) nicht gerecht werden kann. Denn Auslandsberichterstattung führt Korrespondenten an die Grenzen moralischer und rationaler Orientierung. Der Glaube an die Möglichkeit, in Krisengebieten helfend eingreifen (Born, Buch) oder das Verhalten Einheimischer richtig einschätzen zu können (Kirchhoff) gehen beim Einsatz in der Fremde verloren. Rezensionen/Book Reviews ARNOLD, HEINZ LUDWIG UND MATTHIAS BEINLEIN, HG. Literaturbetrieb in Deutschland. 3. Aufl. Neufassung. VOLKER HAGE. Kritik für Leser. Vom Schreiben über Literatur. UWE WITTSTOCK. Nach der Moderne. Essays zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in zwölf Kapiteln über elf Autoren. (Michael Braun) BRAUN, MICHAEL, ED. Tabu und Tabubruch in Literatur und Film. (Margit Grieb) CATANI, STEPHANIE, FRIEDHELM MARX UND JULIA SCHOELL, HG. Kunst der Erinnerung, Poetik der Liebe. Das erzählerische Werk Hanns-Josef Ortheils. (Ingeborg Hoesterey) LEDANFF, SUSANNE. Hauptstadtphantasien. Berliner Stadtlektüren in der Gegenwartsliteratur 1989-2008. (Rolf J. Goebel) POLSTER, HEIKE. The Aesthetics of Passage: The Imag(in)ed Experience of Time in Thomas Lehr, W.G. Sebald, and Peter Handke. (Will Lehman) SCHAUMANN, CAROLINE. Memory Matters: Generational Responses to Germany’s Nazi Past in Recent Women’s Literature. (Erin McGlothlin) SHAFI, MONIKA, ED. Approaches to Teaching Grass’s The Tin Drum. (Stephan Schindler) Editorische Notiz/Editorial Note. weiterlesen

Sprache(n): Englisch, Deutsch

ISBN: 978-3-86057-580-2 / 978-3860575802 / 9783860575802

Verlag: Stauffenburg

Erscheinungsdatum: 15.07.2010

Seiten: 358

Auflage: 1

Herausgegeben von Paul Michael Lützeler, Stephan K. Schindler

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