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Geschichte(n) an der Garnisonkirche in Potsdam

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Den weitgehend wiedererstandenen Turm der Potsdamer Garnisonkirche kann man nun, im Sommer 2024, betrachten und sich an seiner Schönheit erfreuen. Aber es kommen sofort Fragen auf, die von Befürwortern, eher unschlüssigen Menschen oder gar Gegnern sehr unterschiedlich beantwortet werden. Vor allem wird gefragt: Warum musste gerade dieses als umstritten geltende historische Bauwerk wieder aufgebaut werden? Klar ist wohl, dass seine Präsenz sowohl städtebauliche als auch geschichtliche und politische Aspekte wachruft. Wir leben glücklicherweise in einer lebendigen Demokratie, und somit sind unterschiedliche Standpunkte erlaubt, ja sogar erwünscht. Der überwiegend von ideologisierten Menschen, die sich als „Antimilitaristen“ und „Antifaschisten“ empfinden, in die Stadt getragene Streit um den Wiederaufbau hat deutschlandweite Aufmerksamkeit erregt. Bei genauerem Hinsehen erweist sich die damit verbundene Anti-Preußen-Haltung als vorurteilsbeladene Einseitigkeit. Doch nur wer die ganze Breite historischer Zusammenhänge betrachtet, wird wirklich aus der Geschichte lernen können. Dieser Ort ist geradezu ein Kulminationspunkt der deutschen Historie, und Erinnerung braucht solche Stätten, um zu sie zu begreifen. In seinen hier in Buchform präsentierten Vorträgen ist Volker Schobeß den ideologischen Ungereimtheiten nachgegangen und überrascht den Leser mit neuen Perspektiven. Anderseits lenkt er beispielsweise in seinem Vortrag über die „Heilige Allianz“ den Blick auf bisher unbekannte historische Ereignisse, die in Zusammenhang mi der Garnisonkirche stehen. Wir Deutschen haben uns mit unserer problematischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, ob wir wollen oder nicht. Die Garnisonkirche ist einer der Orte, in denen die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit naheliegt. Sie steht im kollektiven Gedächtnis für inszenierte Symbolpolitik ebenso wie für menschliche Tugenden, zum Beispiel Treue und Redlichkeit, die sie mit ihrem Glockenspiel stündlich anmahnte. Die Christus-Sonne der Wetterfahne überstrahlte die Herrschersymbole des königlichen Bauherrn und versinnbildlichte dessen Unterordnung und das Regiment Gottes. Die den Bau schmückenden Trophäen und Armaturen waren mitnichten Drohgebärden. Seit der Antike galten sie als Sinnbilder für eine gesicherte Herrschaft. Unter den Personen, die mit dem Namen dieser Kirche in Verbindung gebracht werden, gab es Agitatoren und Mitläufer, aber eben auch Menschen des politischen Widerstands. In jüngster Zeit greift erneut eine moralisierende Geschichtsbetrachtung um sich, wie sie aus der Zeit der SED-Diktatur bekannt ist. Kann so historisches Wissen vermittelt werden? Oder verschleiert eine solche besserwisserische Rückschau nicht sogar, welche Ursachen und vielleicht auch Zwänge zu bestimmten Entscheidungen von Verantwortungsträgern und Menschen führten, die in ihre jeweilige Zeitströmung eingebunden waren? Der große dänische Philosoph und Theologe Søren Kierkegaard (1813–1855) prägte den Ausspruch: „Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer sein.“ Heute sind manche Zeitgenossen jedoch angestrengt bemüht, dem sogenannten „Mainstream“ zu folgen, und dabei das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren. Wird ein solches Verhalten Bestand haben? Gibt es in der deutschen Geschichte nicht genügend Beispiele, wie vergänglich solche tagesaktuellen scheinbaren Wahrheiten sind? „So schnell schießen die Preußen nicht“ lautet ein bekannter Spruch (die preußische Armee erschoss Deserteure nicht, sondern züchtigte sie). Dieses „geflügelte Wort“ geht wohl auf den Bauherrn der Kirche, Friedrich Wilhelm I. (1688–1740), zurück. Die Folgen der Verwüstung seiner Lande durch marodierende Söldnerheere verschiedener Kriegsparteien im Dreißigjährigen Krieg waren noch immer zu spüren. Nun jedoch war die Abschreckungswirkung seines stehenden Heeres so groß, dass der als „Soldatenkönig“ geschmähte Monarch zum friedlichsten Herrscher seiner Zeit in Europa wurde. Präventives Denken und Handeln in unruhigen Zeiten war und ist allemal besser, als einem unsteten Zeitgeist zu folgen, der Unruhe und Verwirrung stiftet. „Üb immer Treu‘ und Redlichkeit“ – so klang es abwechselnd mit dem Choral „Lobe den Herren“ vom Glockenspiel hoch über der Stadt. Beherzigt wurde dieser Ruf leider allzu selten. Er verstummte in der Bombennacht des 14. April 1945, als die Garnisonkirche ausbrannte. Eigentümer des bis dahin königlichen, ab 1918 dem Regierungspräsidenten in Potsdam zugeordneten Gebäudes wurde erst 1947 die Zivilgemeinde, die es hier immer neben der Militärgemeinde gab. Sie veranlasste umgehend Sicherungsmaßnahmen und den Einbau einer Kapelle in den Turm. Dass das Gotteshaus nun keine „Militärkirche“ mehr war, wurde mit der Umwidmung in „Heilig-Kreuz-Kirche“ dokumentiert. Seit 1950 fanden wieder Gottesdienste statt. Mit dem Einzug von sichernden Stahlbetondecken begann 1966 der Wiederaufbau, doch wurde die bekannteste Potsdamer Kirche auf Geheiß der SED 1968 enteignet und in einem Akt der Kulturbarbarei 1968 gesprengt. An der Gründung der Stiftung Garnisonkirche Potsdam (SGP) im Jahr 2008 waren das Land Brandenburg, die Stadt Potsdam und die evangelische Landeskirche (EKBO) beteiligt. Durch die Treuhandgesellschaft bei Übergabe des Rechenzentrums dazu verpflichtet, übertrug die Stadt am 25. Februar 2010 das Grundstück mit einer rechtlich bindenden Bauverpflichtung an die SGP: „Die Stiftung verpflichtet sich, auf dem übertragenen Grundbesitz die Garnisonkirche wiederaufzubauen und entsprechend dem Stiftungszweck zu nutzen“. Dieser Zweck wird laut Stiftungssatzung dadurch verwirklicht, „dass der Wiederaufbau des Kultur- und Baudenkmals Garnisonkirche Potsdam betrieben und dessen Nutzung als evangelische Kirche gewährleistet ist“. Voraussetzung für das Kirchenbauprojekt war der 1990 von der Stadtverordnetenversammlung gefasste Beschluss zur behutsamen Wiederannäherung an den historischen Stadtgrund- und -aufriss der Potsdamer Mitte. Am 23. Januar 2002 beschloss dieses demokratische Gremium den Wiederaufbau der Garnisonkirche (also lange vor Gründung der Fördergesellschaft und der Stiftung). Zahlreiche Bürgerbeteiligungen und weitere Stadtverordneten-Beschlüsse führten zum Bebauungsplan Nr. 1, der am 14. April 2015 in Kraft trat. Neben der Wiederherstellung kleinteiliger Stadtstrukturen um den Alten Markt enthält er den Wiederaufbau der Garnisonkirche, den Rückbau des Rechenzentrums sowie die Wiederherstellung der angrenzenden Plantage als Grünanlage und des in den 1960er Jahren zugeschütteten Stadtkanals, der in Zeiten des Klimawandels ein großer Gewinn für die Stadt wäre. Nach den Kommunalwahlen vom 26. Mai 2019 ergab sich eine neue Konstellation. Die Gegner des Wiederaufbaues der Garnisonkirche waren nun vermehrt in der SVV vertreten und bekamen mehr Einfluss. Allen bisherigen, unter vielfacher Bürgerbeteiligung konsensual getroffenen Entscheidungen zur Beseitigung städtebaulicher Missstände im Innenstadtbereich umgehend versuchten nun einige Verantwortungsträger der Stadt, gleich zwei Vertragsbrüche durchzusetzen. Am 26. Januar 2022 beschloss die SVV den „vollständigen Erhalt des Rechenzentrums“ und den Bau eines „Hauses der Demokratie“ mit einem Plenarsaal für die SVV-Sitzungen anstelle des Kirchenschiffes. Sinn des Manövers war die Vereinigung der Grundstücke von Kirche und Rechenzentrum, um die baurechtlich vorgeschriebenen Abstandsflächen zu und damit den Solitärbau der Kirche zu verhindern. Einem Gremium, das die Beschlüsse seiner Vorgänger ignoriert, ein solches Projekt anzuvertrauen, wäre allerdings kurzsichtig und naiv. Im Kirchenschiff sollen wieder politische Veranstaltungen stattfinden? Es darf daran erinnert werden, dass die von den Wiederaufbaugegnern gern ins Feld geführte wiederholte zweckentfremdende Nutzung der historischen Garnisonkirche nur geschah, weil sie dem Staat und nicht der Kirche gehörte. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen waren die damaligen Vorsitzenden des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und der Fördergesellschaft 2021 bereit, das Teilgrundstück abzugeben, also das Stiftungsziel des Wiederaufbaus der Garnisonkirche als evangelische Kirche zu opfern. Dies geschah, ohne die beteiligten Kuratoren und Vorstandsmitglieder über diese weitreichende Entscheidung zu informieren. Die Empörung innerhalb der Fördergesellschaft war so groß, dass am 30. Mai 2022 ein völlig neuer Vorstand gewählt wurde, der sich seither vehement für die Einhaltung der Satzung und die kirchliche Nutzung des Gesamtgrundstücks einsetzt. Die Kuratorinnen und Kuratoren der Stiftung Garnisonkirche fassten daraufhin am 18. Februar 2023 folgenden Beschluss: „1. Die inhaltliche Arbeit im Turm als Lernort der deutschen Geschichte, der von historischer Aufklärung und demokratischem Diskurs geprägt wird, bleibt für die Stiftung wesentlicher Maßstab auch für die Bebauung des Grundstücks des ehemaligen Kirchenschiffs. Dies sieht das Kuratorium insbesondere in dem Gedanken erfüllt, dort den Plenarsaal für die SVV zu integrieren. 2. Aus städtebaulichen und inhaltlichen Gründen muss ein angemessener Abstand zur Nachbarbebauung (Rechenzentrum) gewährleistet sein. 3. Zudem darf die touristische Attraktivität des Turmes durch die Bebauung und deren Funktion nicht beeinträchtigt werden. 4. Die Kubatur des ursprünglichen Baus muss Ausgangspunkt der Überlegungen sein. Das Kuratorium bittet den Vorstand der Stiftung darum, vor der Ausschreibung der Machbarkeitsstudie dem Kuratorium zur Erfüllbarkeit dieser Voraussetzungen zu berichten.“ Städtebau ohne Rücksicht auf den umgebenden Stadtraum, wie er in Ost und West nach 1945 vielerorts Gang und Gäbe war, ist nicht mehr zeitgemäß! Aufenthaltsqualität ergibt sich allein aus einer Stadtgestaltung nach den Gesetzen der Ästhetik. Potsdam ist keine in Jahrhunderten organisch gewachsene, sondern eine planvoll erbaute Stadt. Es geht hier um die Wiedergewinnung einer singulären, charaktervollen architektonischen Schöpfung und um das „Gesamtkunstwerk Potsdam“. Der „Initialzündung“, dem historisch getreuen Wiederaufbau des Fortunaportals im Jahre 2000, folgten das Parlamentsgebäude in Gestalt des einstigen Stadtschlosses und die Humboldtstraße mit ihrem architektonischen und gesellschaftlichen Höhepunkt, dem Museum Barberini. Weiter geht es mit dem Umfeld des Alten Marktes, dessen maßstäbliche, überwiegend neue Architektur zusammen mit einigen „Leitfassaden“ verhindert, dass hier erneut Fremdkörper entstehen. Die aufstrebende Kuppel der Nikolaikirche ist wieder eingebunden in einen Stadtraum, der hohe Aufenthaltsqualität besitzt. Die neue, kleinteilige Bebauung erinnert an die Stadtgeschichte und deren Zerstörung durch Krieg und Willkür, ohne sie zu leugnen.weiterlesen

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-86465-193-9 / 978-3864651939 / 9783864651939

Verlag: trafo Literaturverlag

Erscheinungsdatum: 18.08.2024

Seiten: 242

Auflage: 2

Zielgruppe: Für Interessenten an der Geschichte der Garnisonkirche in Potsdam, ihrer Zerstörung und Wiedererrichtung

Vorwort von Andreas Kitschke
Autor(en): Volker Schobeß

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