Gier
Wenn genug nicht genug ist
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„Profitgier frisst unsere Heimat und ihre Geschichte(n)", steht auf einem Plakat, das an vielen
Stellen im Münchner Stadtvierteil Giesing hängt – und das schon seit ein paar Jahren. Was
steckt dahinter? Das leerstehende „Uhrmacherhäusl", ein über 150 Jahre altes
denkmalgeschütztes Haus, ist im Herbst 2017 plattgemacht worden: Was vom Eigentümer als
Sanierung angekündigt worden war, stellte sich als illegaler Komplettabriss heraus. Die gesamte
Nachbarschaft, die Lokalpresse und der Münchner Oberbürgermeister, Dieter Reiter, reagierten
schnell: Das Uhrmacherhäusl solle wieder aufgebaut werden, forderten sie, in Höhe, Breite und
Anmutung so wie vor dem Abriss. Der Eigentümer klagte dagegen – und bekam Recht.
Oberbürgermeister Reiter spielte dann seinen letzten Trumpf aus und verkündete öffentlich,
dass mit dem Eigentümer und dessen Rohrreinigungs-Unternehmen, welches in der
Vergangenheit häufig Aufträge von der Landeshauptstadt erhalten hatte, nicht mehr
zusammengearbeitet werden solle. „Jemand, der unser Vertrauen so verloren hat wie der
Eigentümer des Uhrmacherhäusls, darf mit der Stadt kein Geld verdienen!", wurde Reiter in der
Süddeutschen Zeitung zitiert. Die Baulücke ist immer noch da. Ebenso wie die Plakate und die
regelmäßig stattfindenden Mahnwachen an der Abrissstelle. Sie erinnern auch drei Jahre später
noch an die Bagger, die ein altes Haus dem Erdboden gleichmachten. Aus Profitgier.
Nicht wenigen Unternehmen wird dieses rücksichtslose Streben nach Gewinn nachgesagt: den
„Heuschrecken"-Investoren, die Betriebe kaufen und dann so lange aussaugen, bis nur noch
eine leere Hülle übrigbleibt; internationalen Konzernen, die Sozialwohnungen von kommunalen
Trägern billig kaufen und dann schlecht instandgehalten teuer vermieten oder noch teurer
weiterverkaufen. Den Lebensmittelfälschern, die Pferdefleisch in Hamburger packen und
Olivenöl mit Maschinenöl panschen. Oder eben Eigentümern von Immobilien, die die
kostspielige Instandhaltung von denkmalgeschützten Häusern scheuen und auf moderne
Mehrfamilienhäuser für Mieter mit Geld setzen.
Wenn jemand immer mehr haben möchte, wird das nicht gern gesehen. „Der kennt kein
Genug!", wird geschimpft, wenn einer Gier durch ein hierarchisches Machtverhältnis auslebt
und sich jeder Moralvorstellung verweigert: Der Eigentümer eines Mehrfamilienhauses, der die
Mieten dort unverhältnismäßig anhebt. Oder gleich an ein ausländisches Unternehmen verkauft.
Wodurch das Zuhause von Familien mit kleinen Kindern, von alten Menschen oder ganz
normalen Leuten aus der Mitte der Gesellschaft verändert, gar vernichtet wird. Warum macht
der das? Weil er es kann. Weil es sich gerade anbietet. Weil er seinem Sohn zum Abitur einen
Porsche kaufen will. Weil er am Drücker sitzt und das auslebt – die Gier nach Profit ist oft
kombiniert mit dem Ausleben von Macht. Die aber auch diejenigen empfinden, die zum Beispiel
bei der Steuererklärung gemogelt haben: Weil sie es können. Auch von unterhalb der Gehalts-
Oberschicht. Weil es sich angeboten hat. Weil 1.000 „ganz legale" Steuertricks einfach danach
schreien, eingesetzt zu werden.
Nicht selten kommt die Gier mit Geiz daher: Warum soll jedes Haus von einem eigenen
Hausmeister verwaltet werden, wenn doch auch einer pro Wohnblock, pro Straßenzug
ausreicht? Warum soll in Recyclingtechnologie investiert werden, wenn Wegwerfen,
Verbrennen, übers Meer verklappen doch viel billiger ist? Warum soll man Tierrechte achten,
wenn man eine Menge Geld sparen kann, indem man Tausende von Hühnern auf viel zu wenig
Platz zusammensperrt? Warum soll man Erntehelfer ordentlich bezahlen, unterbringen und die
Verantwortung für ihr Wohlergehen übernehmen, wenn es doch viel günstiger ist, sie als
Leiharbeiter über eine dubiose Subunternehmensstruktur zu beschäftigen?
Habgier ist eine Sünde, die nicht nur „die da oben" betrifft, sondern uns alle: Verbraucher, die
vier Schweineschnitzel für 3,79 EUR kaufen; Menschen, die in der Corona-Krise
Soforthilfezahlungen abgerufen haben, obwohl sie keineswegs ein von der Pandemie
gebeuteltes Kleinunternehmen betreiben; den Gast am Hotelbuffett, der sich seinen Teller so
voll lädt, dass nichts mehr für die anderen übrigbleibt; den Rabattjäger, der aus jedem Einkauf
noch den letzten Cent herausholen möchte.
Dieses Buch möchte die Gier in uns beleuchten – woher sie kommt, wo wir ihr begegnen, was
sie mit uns macht, und wie wir sie bekämpfen können – wenn wir das wollen.weiterlesen
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