In einer universitären Übung (Klausur, erstes Staatsexamen1) wird von Ihnen als
Bearbeiter erwartet, ein Gutachten zu verfassen, das bestimmten formellen und
methodischen Anforderungen gehorchen muss. In dem Gutachten sollen Sie zu
allen rechtlichen Fragen Stellung beziehen, die im Sachverhalt aufgeworfen sind.
Dabei ist es wichtig, dieser Aufgabenstellung im Gutachtenstil nachzukommen.
Prägend für den Gutachtenstil ist, dass eine Frage oder Hypothese aufgeworfen
wird, die es sodann zu prüfen gilt; das Ergebnis steht am Ende. Sie leiten also
schrittweise und folgerichtig den Leser durch den Gedankengang, ausgehend
von den Voraussetzungen über etwaige Zwischenergebnisse zur Antwort auf die
Ausgangsfrage.
Dieser Aufbau wird von vielen Studierenden in den Anfangssemestern als lästig
empfunden. Er wird in jeder Vorlesung und Übungsveranstaltung gepredigt und
geübt. Und obwohl es die Prüfer sind, die versuchen den Studierenden bewusst
zu machen, dass der Gutachtenstil entscheidend für den Erfolg in den Klausuren
der Anfangssemester ist, wird er oftmals missachtet. Erstens ist es unbequem, den
Gutachtenstil einzuhalten; zweitens herrscht Unverständnis, weshalb er so wichtig
ist.
Deswegen seien Ihnen, nachdem der Unterschied zwischen Gutachten- und Urteilsstil
dargestellt wird (sogleich unten II.), ein paar Worte zur juristischen Funktion
des Gutachtens (unten III.) und zum Gutachtenstil (unten IV.) an die Hand
gegeben, die Ihnen helfen mögen, seinen Zweck besser zu verstehen. Sie werden
sehen, dass das Gutachten und sein zugehöriger Stil von der Vorgehensweise bei
der praktischen juristischen Beratung und Rechtsfindung geprägt sind. Darüber
hinaus sollen im nächsten Schritt die Merkmale des Gutachtensstils erläutert werden
(unten V.). Es folgen einige Ausführungen zur Herangehensweise beim Erfassen des Sachverhalts, beim Verfassen des Gutachtens sowie zu dessen Vorbereitung und zum Aufbau (unten VI.–IX.). Nach einigen formellen und sprachlichen
Hinweisen, die bei Erstellung eines Gutachtens beachtet werden sollten (unten
X.), schließt die Übersicht mit einigen Formulierungs- und Darstellungshinweisen
(unten XI.).weiterlesen