Hannelies Taschau hat 1978 einen Roman über die münsterländische Provinz geschrieben. Der Titel „Landfriede“ ist dabei purer Euphemismus. Eine Wiederentdeckung.
Der Roman „Landfriede“ ist mittlerweile 33 Jahre alt, liest sich aber immer noch so taufrisch, als sei er erst gestern geschrieben worden. Das liegt am unprätentiösen Stil und an der suggestiven Sogkraft dieses Buches, das man, einmal in die Hand genommen, nicht mehr fortlegen möchte. Weil man natürlich wissen will, wie diese Geschichte denn weitergeht - eine Handlung, die vom ersten Satz an unter keinem guten Stern steht.
Als da sind: Er, Ende zwanzig, ein smarter, karrierebedachter Junglehrer, dem die Herzen nur so zufliegen, mit zielgerichtetem Blick auf soziale Absicherung und Beamtenstatus. Sie dagegen, Anfang zwanzig, eher introvertiert, eine hilflos Suchende, die sich in einer schwierigen Selbstfindungsphase befindet. Eine glänzende Karriere als Journalistin scheint ihr offen zu stehen, doch das ist vorerst noch Zukunftsmusik mit vielen Unwägbarkeiten.
Gemeinsam haben beide einen folgenschweren Entschluss gefasst. Raus aus der Stadt, hinein ins Grün, in die münsterländische Provinz. Kann das gut gehen? Natürlich nicht, zumindest nicht unter diesen Vorzeichen.
Die Lebenslinien passen fortan einfach nicht mehr zueinander. Während er euphorisch in seinem neuen Job aufgeht, Bekanntschaften schließt, aufblüht, will sie sich nicht akklimatisieren. Ekel stellt sich ein. Lethargie. Wut. Sie beginnt zu trinken, nimmt Tabletten, fällt völlig aus der Zeit. Die Beziehung geht peu à peu in die Brüche.
Argwöhnisch belauert sie das, was sich da in der Provinz vor ihren Augen abspielt. Und das ist nichts Gutes, Wahres, Schönes. Da ist Besserer-Leute-Dünkel, chauvinistisches, dumpf-dümmliches Schützenfestgehabe, ein alles erstickender Konservatismus. Ein Szenario des Misstrauens, der Lüge und Heuchelei. Hinter der Fassade einer heilen Welt sieht es erbärmlich aus. Die Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Mentalität entpuppt sich als Abgrund kaputter Existenzen. Und die junge Generation ist keinen Deut besser als die der Altvorderen. Alles scheint seinen vorgezeichneten Weg zu gehen, von der Wiege bis zur Bahre.
Ideale sind Mangelware, das Denken ist vom Wohlstandsvirus befallen und läuft Gefahr, in die Konformismus-Falle zu geraten. Progressiv und rebellisch zu tun, ist eine Sache, gesellschaftliche Veränderung auch wirklich herbeiführen zu wollen, eine andere. Er, Schräger, gibt seine Utopien bereitwillig auf, sie, Anna, geht in die innere Emigration und verzweifelt.
„Landfriede“ arbeitet am Beispiel einer problematischen Zweierbeziehung Zeitgeist auf. Illusionslos und ohne Pardon. Ein Knockout für alle gutgemeinten 68er Hoffnungen der Art: Komm aufs Land, da sind wir uns selbst genug, da wird alles gut. Wird es aber nicht. Dafür sind die Charaktere zu differenziert, zu entfremdet, nicht mehr unschuldig genug.
Der Roman „Landfriede“ geht unter die Haut. Weil er den Personen so nahe kommt. Weil er nicht drumrumredet. Weil er kalt, bissig und trotzig gesellschaftliche Zustände glasklar seziert. Und weil er obendrein spannend ist. Denn Anne bekommt den Auftrag, journalistisch über die Provinz zu berichten, den Pseudo-Schleier einer vermeintlich heilen Welt zu lüften. Wie wird Schrager reagieren, wie die eingeschworene Dorfgemeinschaft?
„Landfriede“ ist ein Sittengemälde, das sich einreiht in ähnlich gelagerte westfälische Gesellschaftspanoramen von Autoren wie Paul Schallück, Thomas Valentin, Ulrich Schamoni, Otto Jägersberg, Hermann Kinder oder Norbert Johannimloh. Hannelies Taschau setzt diesen „Klassikern“ eine starke weibliche Stimme entgegen, die in manchem radikaler und entlarvender ist als die ihrer Vorgänger.weiterlesen