Paul Schmidgall (Jahrgang 1954) hat sich in den letzten Jahren wiederholt die Arbeit gemacht, wichtige Namen und Daten zur Geschichte der Pfingstbewegung zu sammeln und sie in professioneller Manier literarisch auszuwerten. Er verfügt über ein umfassendes akademisches Rüstzeug, das er sich an namhaften Hochschulen und Universitäten in Deutschland, den USA und in Israel angeeignet hat. Als promovierter Theologe mit Schwerpunkten in NT und Judaistik hat er eine beeindruckende Laufbahn sowohl als Pastor der "Gemeinde Gottes" in Deutschland als auch als Dozent, Dekan und Rektor am Europäischen Theologischen Seminar Kniebis im Schwarzwald aufzuweisen. Dass er sich für den Bereich der Pfingstbewegung, zu der er sich zugehörig weiß, auch Themen der Kirchengeschichte zugewandt hat, spricht für ihn als einen soliden "Allrounder" mit beachtlicher Kompetenz auf vielen Gebieten theologisch-wissenschaftlicher Arbeit.
Von seinen Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre sind zwei Bücher zur Geschichte der Pfingstbewegung bereits im Umlauf: "90 Jahre deutsche Pfingstbewegung", Erzhausen 1997, und "Von Oslo nach Berlin! Die Pfingstbewegung in Europa", Erzhausen 2003. Da war es ein konsequenter Schritt, wenn er jetzt auch die "100 Jahre Deutsche Pfingstbewegung" im großen Stil beschreibt. Das Hauptwerk stellt einen hohen Anspruch an seine Leser, und der Verfasser weiß, dass es in diesem beträchtlichen Umfang vermutlich nur von "Fachleuten" gelesen wird. Das sind gewöhnlich Studierende, Doktoranden oder Dozenten, die sich aus wichtigem Gunde mit einer solchen Materie befassen.
Doch auch "gern lesende Laien", die an der Kirchengeschichte ganz allgemein und an den 100 Jahren Geschichte der deutschen Pfingstbewegung als engagierte Gemeindemitglieder oder "Privatgelehrte" besonders interessiert sind, werden dankbar zu dem hier besprochenen Buch greifen. Es ist eine handliche Studienausgabe, die durchaus geeignet ist, "Freunden und Feinden" der Pfingstbewegung einen Eindruck zu vermitteln, wie diese bisher letzte weltweite Erweckungsbewegung in Deutschland entstanden ist und welchen Weg sie gegangen ist, bis sie ihr heutiges evangelisch-freikirchliches Profil gewonnen hat.
Paul Schmidgall hat gründlich gearbeitet, er lässt nichts aus, was in der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Pfingstbewegung umstritten oder gar falsch war, und er beschreibt die Lehre und das Leben der Pfingstgemelnden auch an solchen Stellen, die in der Vergangenheit zu Missverständnissen und langer Zurückhaltung bei anderen evangelikalen Christen beigetragen haben. Allerdings kann er das in dem Bewusstsein tun, dass die geistlichen "Geburtswehen", die in Deutschland (1909) zur totalen Verurteilung der Pfingstbewegung durch die landeskirchliche Gemeinschaftsbewegung (Gnadauer Verband) geführt haben, heute im interkonfessionellen Dialog keine nennenswerte Rolle mehr spielen.
In diesem Zusammenhang erwähnt der Verfasser den immensen Beitrag des international anerkannten Kirchenhistorikers Walter J. Hollenweger, inzwischen emeritierter Professor für Missiologie an der Universität Birmingham/England, eher sparsam, obwohl Hollenweger gerade der deutschen Pfingstbewegung einen großen Dienst erwiesen hat. Er hat als erster Historiker von wissenschaftlichem Rang die in Deutschland lange Zeit von den Kirchenleitungen ignorierte und von den Freikirchen mit großer Zurückhaltung beobachtete Pfingstbewegung in geradezu visionärer Weise als eine legitime Kirche neben den anderen Kirchen der Welt gesehen und damit einen Durchbruch bewirkt, der auch in Deutschland zu einer größeren Akzeptanz der Pfingstbewegung interkonfessionell geführt hat.
Paul Schmidgall kann in seinem Buch auch mit dem Argument auftreten, dass die deutsche Pfingstbewegung ein Teil - wenn auch nur ein kleiner - der weltweiten Pfingstbewegung geworden ist. Eine solche Ausbreitung einer geistlichen Bewegung in nur 100 Jahren hat es in der zweitausendjährigen Geschichte der christlichen Kirchen noch nie gegeben. Diesem Tatbestand kann sich natürlich kein ernsthafter Historiker mehr entziehen. Waren bis dahin in der ökumenischen Diskussion nach der römisch-katholischen Kirche an zweiter Stelle die orthodoxen Ostkirchen mit insgesamt circa 300 Millionen Mitgliedern involviert, so hat jetzt die Pfingstbewegung im globalen Umfang mit etwa 500 Millionen Mitgliedern als jüngste Konfession den zweiten Platz eingenommen. Allerdings sind längst nicht alle Pfingstgemeinden von der Notwendigkeit eines ökumenischen Dialogs überzeugt.
Wohltuend ist die fast gelassen wirkende Beschreibung der schwierigen theologischen Positionen innerhalb der Pfingstbewegung im Ausland und in Deutschland durch den Autor. Wohltuend deshalb, weil er gelten lässt, dass es auch in den Pfingstgemeinden unterschiedliche lehrmäßige Schwerpunkte und Formen von gelebter Frömmigkeit gibt. Er beschreibt die Ausprägung der Pfingstbewegung" (77), die sich in Deutschland 1978/ 79 im "Forum Freikirchlicher Pfingstgemeinden" eine gemeinsame Plattform auf ihrem Weg zueinander geschaffen hat, obwohl die damals tragende Generation die jeweils andere "Richtung" noch gar nicht wirklich kannte. Schmidgall zeigt, wie sich die damals fünf repräsentativen deutschen Pfingstgruppen - Mülheimer Verband, Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), Volksmission, Gemeinde Gottes und Apostolische Kirche - einander angenähert und auf ein gemeinsames "pfingstliches" Zeugnis verständigt haben. Das alles wird in fachlicher und sachlicher Ausgewogenheit beschrieben und immer wieder in die europäische und globale Dimension der Pfingstbewegung eingebettet. Nur schade, dass sie als Freikirche von den Volkskirchen immer noch zu wenig wahrgenommen wird, ganz zu schweigen von den öffentlichen Medien in Deutschland, die sie entweder nur entstellt darstellen oder ihr Vorhandensein ganz und gar totschweigen.
Wie in seinen eingangs erwähnten zwei Büchern hat Schmidgall auch in diesem handlichen Werk wichtige statistische Zahlen erfasst und ausgewertet. Von der halben Milliarde "Pfingstgläubiger" ragen die neo-charismatischen Christen in der dritten Welt mit 300 Millionen sowie andere Charismatiker weltweit mit 175 Millionen weit heraus. Selbst unter den 66 Millionen "klassischen" Pfingstlern nimmt sich die Mitgliederzahl in Deutschland von etwa 60 000 nur sehr bescheiden aus. Trotzdem gelten die freikirchlichen Pfingstgemeinden und die mit ihnen assoziierten Freien "charismatischen" Kreise in Deutschland als die am schnellsten wachsenden evangelischen Freikirchen. Sie lassen aus biblischem Prinzip keine Kirchensteuer durch die Finanzämter einziehen, sondern "leben" von den freiwilligen Spenden und Liebesopfern ihrer Mitglieder. Trotzdem bezahlen sie ihre Pastoren und bauen ihre Kirchen und Gemeindehäuser geräumiger und schneller als die großen Kirchen. Sie entwickeln auch eine beachtliche eigene Medienarbeit in Rundfunk und Fernsehen, für die sie teure Sendezeiten bei privaten Medienanstalten mieten. Für ausgesprochen soziale Zwecke erhalten sie allerdings - wie alle anderen Kirchen - staatliche Zuschüsse oder besondere Vergünstigungen. Dieser "vitale" Aspekt der freikirchlichen Pfingstbewegung in Deutschland wird von Schmidgall in der Studienausgabe nicht thematisiert. Sein Buch enthält aber eine Fülle von Hinweisen in Fußnoten und mehreren ausgewählten Exkursen. Wer sich ernsthaft wissenschaftlich auf das kirchengeschichtliche Phänomen "100 Jahre Pfingstbewegung in Deutschland" einlässt, sollte sich die umfangreiche Originalausgabe besorgen. Dort findet er die wichtigsten Zusammenhänge, aufweiche die Fußnoten der verkürzten Studienausgabe hinweisen. Es fällt auf, dass die meisten zitierten Autoren dem angloamerikanischen Sprachraum entstammen. Der Verfasser hat hauptsächlich an ausländischen, englischsprachigen Hochschulen studiert und sich bei der vorliegenden Arbeit auf diese ihm bekannten wichtigen Quellen und Belegstellen bezogen, was beim Leser die Kenntnis der englischen Sprache voraussetzt, wenn er sich mit diesen Autoren beschäftigen will. In den Fußnoten wird auch auf zahlreiche, zum Teil noch unbekannte deutsche Autoren hingewiesen, deren Beiträge zum Thema hilfreich sind. Leider haben die Väter der deutschen Pfingstbewegung, die ab 1910/12 das Bild der freikirchlichen Pfingstgemeinden geprägt haben, nur selten oder gar nicht über theologische Themen sowie über wichtige historische Daten und Fakten geschrieben. Aber die zweite und dritte Generation von Pfingstlern in Deutschland hat in mehreren Büchern, mehr noch in Jubiläumsschriften ihrer Gemeinden, viele wichtige historische Momente schriftlich festgehalten. Darauf weist der Autor ausdrücklich hin.
Das einzige kirchenhistorische Werk in deutscher Sprache, das für die ersten 50 Jahre der weltweiten Pfingstbewegung einen wissenschaftlichen Rang beanspruchen kann, ist das Buch von dem langjährigen Sekretär der "Schweizerischen Pfingst-Mission (SPM) Leonhard Steiner, "Mit folgenden Zeichen", (Eine Darstellung der Pfingstbewegung, Basel 1954, 210 S.). Es ist zwar im Handel vergriffen, aber in vielen privaten und gemeindlichen Bibliotheken noch als Leihgut zu haben. Es sei an dieser Stelle jenen Interessierten empfohlen, die nur deutsch lesen können, da es ganz auf der Linie des Autors liegt, der es übrigens auch in seinem Literaturverzeichnis aufgeführt hat. Es ist Paul Schmidgall dafür zu danken, dass er einen ganz wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Pfingstbewegung in einer solchen Dichte erarbeitet hat. An seiner Arbeit wird kein Kirchengeschichtler vorbeikommen. Es ist daher zu wünschen, dass nicht nur diese Studienausgabe sondern auch das Hauptwerk in die Bibliotheken aller theologischem Fakultäten sowie aller kirchlichen und freikirchlichen theologischem Seminare aufgenommen wird.
Ludwig D. Eisenlöffelweiterlesen