Ich spreche zu den Wänden
Gespräche aus der Kapelle von Sainte-Anne
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Im Rahmen der Ausgabe der Werke Jacques Lacans bei Turia + Kant sind nun neue kleine Texte in der Reihe »Paradoxa« erschienen, die Lacan im Vortrag zeigen. Aus einem freien Vortrag im Lacan’schen Stil wird schnell eine eindringliche Erörterung.
Im Pariser Hospital Sainte-Anne war Lacan in den 1920er Jahren Assistenzarzt in der Psychiatrie, und im großen Hörsaal fand von 1953 bis 1963 sein Seminar statt. 1971/72 kehrte er für eine Reihe von Vorträgen nach Sainte-Anne zurück. Die ersten drei versammelt dieser Band.
An ein Publikum gerichtet, das nicht auf dem Stand der Hörer seines Seminars sein muss, werden hier die aktuellen wie auch die ständigen Fragen diskutiert, mit denen konfrontiert ist, wer einen Zugang sucht zu Lacan: Was heißt das, »Es gibt kein Geschlechtsverhältnis«? Oder dass »das Unbewusste strukturiert sei wie eine Sprache«? Was ist ein Signifikant? Was das Objekt a? Woher rührt das Wissen des Psychoanalytikers, und in welchem Verhältnis steht es zur Wahrheit? Lacans Antworten sind klar wie selten.
Der Herausgesber Jacques-Alain Miller bemerkt dazu:
»Ich spreche zu den Wänden«, sagt Lacan, und das bedeutet: »Weder zu Ihnen noch zum großen Anderen. Ich spreche ganz allein. Genau das interessiert Sie. Es ist an Ihnen, mich zu deuten.«
Diese Wände sind die der Kapelle von Sainte-Anne. Lacan findet darin seine jungen Jahre als Assistenzarzt in der Psychiatrie wieder. Er amüsiert sich, improvisiert, lässt sich gehen. Die Intention ist eine polemische: Die besten seiner Schüler, in Bann geschlagen von der Idee, die Analyse entleere von jedem vorausgehenden Wissen, haben sich das von Bataille entlehnte Nicht-Wissen auf die Fahnen geschrieben. Nein, sagt Lacan, die Psychoanalyse geht von einem unterstellten Wissen aus, dem des Unbewussten. Man bekommt einen Zugang dazu auf dem Weg der Wahrheit (der Analysant bemüht sich, frei heraus zu sagen, was ihm durch den Kopf geht), wenn sie ins Genießen einmündet (der Analytiker deutet das jeweils Gesagte des Analysanten als Libidozustände).
Zwei andere Wege versperren hingegen den Zugang: die Unwissenheit (gibt man sich ihr mit Leidenschaft hin, stärkt man stets das etablierte Wissen) und die Macht (die Leidenschaft des Könnens wischt aus, was die Fehlhandlung offenbart). Die Psychoanalyse lehrt die Tugenden der Ohnmacht: Sie zumindest achtet das Reale.
Eine Lektion Weisheit für eine Epoche, die unsere, welche die Bürokratie am Arm der Wissenschaft davon träumen sieht, den Menschen in dem, was er an Tiefstem hat, zu verwandeln – durch die Propaganda, die direkte Manipulation des Gehirns, die Biotechnologie oder noch das »social engineering«. Zuvor schon war es, gewiss, nicht gut, aber Morgen könnte es schlimmer sein.
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