Zeitschrift für Genozidforschung. 16. Jg. 2018, Heft 1
Zeitschrift für Genozidforschung
Produktform: Buch
»Identität« ist seit längerem eine beliebte Kategorie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Das liegt auch an der breiten Verwendbarkeit des Begriffes, die zuletzt Frederick Cooper zu der Feststellung veranlasst hat, dass die Forschung vor »Identität« kapituliert habe: sie bedeute entweder zu viel – oder zu wenig bis gar nichts. Sie sei schwer eindeutig zu greifen, weil sie meist gleichzeitig beispielsweise politisch, religiös und/oder national/ethnisch konnotiert sei. Um »Identität« zu operationalisieren, sind daher Abgrenzungen zu treffen, die Gruppen und Individuen voneinander unterscheiden, wobei die Kriterien möglichst präzise sein müssen. Das bedeutet gleichzeitig, die ubiquitäre Verwendung von »Identität« zu hinterfragen. Der Begriff hat dann eine Spezifik, die ihn beispielsweise von Selbstverständnis, vom sozialen Ort, von der schlichten Verbundenheit oder gar der »Rasse« abhebt. Dennoch haben Identitäten nur Relevanz, wenn sie handlungsleitend sind. Nicht zuletzt während und unmittelbar nach Kriegen ist das häufig der Fall, weil dann auf Gruppen/Individuen oft ein großer Druck lastet, sich zu ihrer Identität zu bekennen oder sie zu ändern. Diese wird häufig von außen zugeschrieben, was mit Gewalt einhergehen kann. Identitätspolitik zeigt deshalb exemplarisch, wie scheinbar feststehende Deutungen durch innere wie äußere Faktoren geformt und konstruiert werden. Die Beiträge des Themenheftes rücken »Identität« als Kategorie von Praxis und Analyse in den Blick. In den Beiträgen wird dafür plädiert, kollektive und individuelle Identität als Fluidum zu verstehen, das sich insbesondere unter extremen Bedingungen wie Kriegsund Nachkriegszeiten sowie Genoziden verändert und nicht selten Fremdkonstruktionen beziehungsweise Zuschreibungen erfährt. In diesem Sinne thematisieren die Aufsätze die Fragen, welche Rolle (zugeschriebene) »Identität« für die jeweilige Gruppe beziehungsweise Person zur Zeit von Genozid und Krieg spielte und inwieweit sie durch Krieg und Genozid
beeinflusst beziehungsweise in deren Folge instrumentalisiert wurde.
Gastherausgeber: Marta Ansilewska-Lehnstaedt, Stephan Lehnstaedt
Inhaltsverzeichnis:
Marta Ansilewska-Lehnstaedt und Stephan Lehnstaedt: Identität durch Krieg oder Krieg wegen Identität? Prolegomena
zum Nutzen einer analytischen Kategorie
Patrice Dabrowski: Poles, Hutsuls and Identity Politics in the Eastern Carpathians after World War I.
Winson Chu: »Wir sind keine Deutschen nur dem Volke nach«. Multiethnic Pasts and Ethnic Germans in the
German Criminal Police in Lodz during the Second World War
Tobias Hof: Extreme Violence and Military Identity – The Italians on the Balkans (1941-1943)
Jens Boysen: Identitätspolitik im Kalten Krieg – die DDR und Volkspolen zwischen nationaler Kontinuität und
Diskontinuitätweiterlesen