Interkulturalität im Werk von Alfred Döblin (1878-1957)
Literatur als Dekonstruktion totalitärer Diskurse und Entwurf einer interkulturellen Anthropologie
Produktform: Medienkombination
Döblins Werk lässt sich in ein Modethema der Literatur des deutschsprachigen Kulturraumes einbinden: Das Thema heißt Interkulturalität. Es lässt sich wiederum in einen gesamten und komplexeren Kontext einbeziehen. Ein Prozess, in dem Weltkriegsprozesse, koloniale Prozesse, avantgardistische Rhetorik und Ästhetik, innereuropäische Widersprüche, Exil und Emigration das Interesse an der Dialektik vom Eigen- und Fremdkulturellen mit bestimmen. Wenn es deutlich wird, dass das Interesse an außereuropäischen Kulturprozessen und Kulturmustern bei Autoren wie Hermann Hesse, Hermann Keyserling, Dauthendey unter anderen das Reisen und auf ein unmittelbares Beobachten ihren jeweiligen ästhetischen Erfahrungen zugrunde liegen, so bleibt zu erwähnen, dass die Lektüren des Alfred Döblin für seine literarische Produktion von großer Bedeutung ist. Gerade hier bestanden für den Heimgebliebenen Alfred Döblin, dessen finanzielle Möglichkeiten begrenzt waren, nichts anders als die Schaffung neuer Zugänge zum Außereuropäischen: erstens die Lektüre vorgefundener, historischer und ethnologisch-ethnographischer, theologischer und mythologischer Dokumente, auf die er stieß und zweitens der Besuch von Völkerkundemuseen, Ausstellungen und Bibliotheken.
Die spätere Reise in Polen, die durch den Fischer-Verlag finanziert wurde, bietet einmalig die Möglichkeit, kulturelle Prozesse im polnischen Kulturraum unmittelbar zu beobachten, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sein Exil in der Schweiz, in Frankreich und in Amerika, (im westlichen Kulturraum) für die Wahrnehmung des Außereuropäischen fast kontraproduktiv war. Aus ethnographischen, intertextuellen und historischen Dokumenten wird seine Beobachtung vom Außereuropäischen gewonnen. Dabei fällt auf, dass Interkulturalität, Reisen und Beobachten Grundpfeiler seiner ästhetischen Erfahrungen über das Außereuropäische konstituieren, obwohl die Bedeutung des Intertextuellen dabei artikuliert werden soll. Gleichzeitig aber bieten sie ihm die Möglichkeit, das Eigenkulturelle (Das Europäische, das Deutsche und das Jüdische) kritisch zu reflektieren. Ebenfalls bedeuten die Erfahrungen des Fremdkulturellen (Indischen, Chinesischen und Südamerikanisch-Indianischen) eine kritische Wahrnehmung der angesprochenen Kulturmuster, zumindest in ihren positiven und negativen Zügen.
Anders als Hans Christoph Buch, Hubert Fichte, Uwe Timm oder sogar Bodo Kirchhof, die in ihrer Funktion als Schreibende eine Beobachterrolle übernehmen, welche mit der des Fachethnologen/Fachethnographen vergleichbar ist, wenn man natürlich von Reise in Polen, in dem dem Autor diese Funktion zukommt, absieht, legt Döblin den Fokus seiner ästhetischen Erfahrungen vornehmlich auf intertextuelle und historische Bezüge, aber auch auf die Beobachtung von Bildern. Intertextualität und Intermedialität bilden daher auch den Ausgangspunkt seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Fremd- und Eigenkulturellen. Obwohl seine Einnahmen ihm weder eine Reise nach Indien, noch nach China erlaubten, konnte er jedoch, wie er selbst später zugeben sollte, Dinge im Original lesen, nämlich Reisebeschreibungen, wovon er ein großer Liebhaber war. Schreiben stellt sich Döblin als eine Reise, in der er neue Entdeckungen macht, vor. Darum lässt sich der Schreibprozess mit sonderbaren Fahrten vergleichen. Diese „Fahrten hinter geschlossenen Türen führten „ihn“ nach China, Indien, Grönland, in andere Epochen, auch aus der Zeit heraus“ Die Vorstellungen, die hinter Döblins geistigen und realen Fahrten stecken, decken die Dimensionen der mehrfachen Alterität von Raum, Kultur, Zeit und Utopie ab. Sie bilden das, was der indisch-englische Autor Salman Rushdie zu Recht „Heimatländer der Phantasie“ nennt.weiterlesen
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