Bausteine zu einer nachbabylonischen Herme(neu)tik
Produktform: Buch
Das titelgebende Hebelzitat scheint das ausgeschlossene Andere dessen, was Hermeneutik erstrebt, zu markieren. Allerdings erweist sich dieses Andere bei näherem Zusehen als der unvermeidbare Gegenpol des Verstehens. Das deutende Begreifen findet am ‚Kannitverstan‘ von Mal zu Mal sein Korrektiv, sein Gegenstück, seine unumgängliche Voraussetzung: dies die einfache, aber fundamentale und weit tragende Einsicht, die in den hier präsentierten Beiträgen einer germanistischen Tagung als Ausgangspunkt oder als Schlusseinsicht, unterwegs an Haupt- oder Nebenwegen der methodischen Reflexion und der Textanalyse immer wieder aufscheint.
Unterschiedlichste Texte von der Spätantike bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts bilden das vielfältige Corpus, an dem hermeneutische Zugriffe erprobt werden, sich (anti)hermeneutische Skepsis abarbeitet, sich widerlegt oder bestätigt sieht: eine frühchristliche Märtyrerlegende und ihre späteren rezeptiven Umformungen, ein hochmittelalterlicher Alexander-Roman, Vers- und Prosaepik des 15. und 16. Jahrhunderts (Wittenwilers ‚Ring‘, der ‚Malagis‘, Thürings ‚Melusine‘, ‚Reynke de Vos‘, ‚Eulenspiegel‘, ‚Finkenritter‘), Passionsspiele, eine bisher unbekannte ‚Melusine‘-Version aus dem frühen 18. Jahrhundert, aufklärerische Fabeldichtung, Expeditionsberichte von Kotzebue und Chamisso, Texte von Keyserling, Kraus, Robert Walser, Kafka, Thomas Valentin, Thomas Bernhard, nicht zu vergessen die hebelsche Kalendergeschichte. Diese zeitlich breite Streuung gestattet ebenso wie die genremäßige Vielgestaltigkeit der Werke immer wieder andere Durchblicke auf Differenzen im anscheinend Nahen und auf Analogien zwischen Entferntem. So verbinden sich – im Sinne einer unvollständigen Reihe von Beispielen – der ‚Strassburger Alexander‘, ‚Die Königstochter von Frankreich‘ und Robert Walser über die Thematik der Brief- und Botenkommunikation; kommunikative Chancen und Risiken körpergebundener Signale zeigen sich ebenso in der Adelswelt des deutschen ‚Malagis‘-Romanes wie in First-Contact-Szenen aus Expeditionsberichten des 19. Jahrhunderts; vordergründige, vom Autor inszenierte Unverständlichkeit verbindet frühchristliche Hagiographie, den ‚Finkenritter‘ mit seinen „schiefen" Dialogen und die (sich übrigens im Biographischen spiegelnde) Vexierbildhaftigkeit Kafkascher Texte.weiterlesen