Ökonomie und Gesellschaft / Markt, Norm und Moral
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Inhalt Michael Baurmann, Hartmut Kliemt: Zur Ökonomie der Tugend Thomas Eger: Wieviel Normierung braucht der Markt? Ökonomische Aspekte der Vertragsfreiheit Bernhard Nagel: Autonomie, Abhängigkeit und Wettbewerb: Rechtliche und ökonomische Analyse Eberhard Dorndorf: Modelle des Rechtssystems in der ökonomischen Analyse des Rechts Bernd Woeckener: Märkte und Normenfindung Thomas Eger und Peter Weise: Die Evolution von Normen aus Unordnung: Ein synergetisches Modell Gisela Kubon-Gilke: Nützlichkeit und Moral Peter Weise: Moral zwischen Markt und Norm: Die Moraltheorie Arthur Schopenhauers aus ökonomischer Sicht Ulrich Hampicke: Moral, Zivilisation, Gerechtigkeit und die ökologische Bedrohung Editorial In neuerer Zeit hat unter Ökonomen und Sozialwissenschaftlern eine Diskussion über die Bedeutung der Moral für die Koordination von gesellschaftlichen Handlungen begonnen. Moral wird dabei als Verhaltensweise begriffen, die in bestimmten Dilemmasituationen einen pareto-superioren Zustand erreichen läßt, d.h. die kollektive Rationalität gegenüber der individuellen favorisiert und Transaktionskosten in einer Wirtschaftsgesellschaft senkt. Die Literatur hierzu ist stark normativ ausgerichtet und betrachtet Institutionen vor allem unter dem Blickwinkel der rationalen Wahl. Die Beziehungen zwischen den Koordinationsmechanismen Moral, Markt und Norm sind hingegen bisher noch nicht befriedigend geklärt worden. Die Autoren dieses Bandes haben sich genau dieses Ziel gesetzt. Bevor die einzelnen Autoren zu Wort kommen und spezifische Definitionen und Begriffe verwenden, seien zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zu den Koordinationsmechanismen Moral, Markt und Norm gemacht. Im groben kann man die unterschiedlichen Definitionen von Normen folgendermaßen klassifizieren: a) Norm als gemeinsames Bezugssystem; b) Norm als verbindliche Vorschrift; c) Norm als gemeinsame Erwartung; d) Norm als Rollenerwartung; e) Norm als Bewertungsstandard; f) Norm als durchschnittliches Verhalten; g) Norm als sanktionierte Verhaltensregelmäßigkeit. Die in diesem Band versammelten Autoren verstehen unter einer Norm vor allem entweder eine verbindliche Sollensvorschrift, der Folge zu leisten die Pflicht eines jeden Menschen ist (Definition b), oder ein Verhalten einer Regel gemäß, deren Nichteinhaltung eine Sanktion nach sich zieht (Definition g). Aber auch die anderen Definitionen werden vereinzelt in bestimmten Zusammenhängen verwendet. Die übliche exakte Definition des Marktes lautet: Der Markt ist der ökonomische Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage und der Preisbildung. Gemäß dieser Definition faßt man alle Käufe und Verkäufe für ein bestimmtes Gut und den sich dabei einstellenden Preis zusammen und ordnet ihnen gedanklich einen Ort, den ökonomischen Ort, zu, an dem die Käufe und Verkäufe stattfinden. Diese Definition abstrahiert vollständig von allen konkreten institutionellen Vorrichtungen, die Käufer und Verkäufer tatsächlich zusammenführen. Sie sagt nichts darüber aus, wie Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Denkt man aber an Bezeichnungen wie Wochenmarkt, Supermarkt oder Aktienmarkt, so erkennt man, daß ein Markt eine Institution ist. Unter dem Blickwinkel der Koordination ist ein Markt also eine Institution, die durch Bekanntgabe einer Zeit, eines Ortes, eines Preises und der Art und Qualität eines Gutes Käufer und Verkäufer zusammenführt, die Geld gegen Gut tauschen. Genaugenommen werden allerdings keine Güter gehandelt, sondern Verfügungsrechte über Güter. Die physische Übergabe von Gütern oder Geld ist keine Markttransaktion. Der Markt ist also ein Koordinationsmechanismus, bei dem Verfügungsrechte (d.h. Normen!) getauscht werden: die Verfügungsrechte, ein Gut auf eine bestimmte Art zu nutzen, gegen das Verfügungsrecht, mit Geld andere Güter zu kaufen. Dieser Begriff des Marktes liegt auch den Ausführungen der Autoren dieses Bandes zugrunde. Im wesentlichen lassen sich zwei Arten der Begründung von Moral unterscheiden. Der eine Begründungsversuch wurzelt in der Suche nach allgemeinen Moralprinzipien, die als unbedingt verbindlich anzusehen sind; eine Handlung wird demgemäß als an sich moralisch oder unmoralisch bezeichnet. Diese Moralprinzipien folgen aus Letztbegründungen wie Gott, ewiges Naturgesetz, Weltvernunft, Menschenvernunft, Menschenwillen u.a.m. Diese deontologische Auffassung bezieht die Begründung von Moral also auf den Begriff des Sollens. Der andere Begründungsversuch leitet die Gültigkeit von Moralprinzipien aus der Bewertung der Handlungskonsequenzen für den einzelnen oder die Gesellschaft ab; eine Handlung ist dann historisch oder situationsgemäß bedingt moralisch oder unmoralisch. Dieser Begründungsversuch analysiert den Zusammenhang von Handlungsumgebung und den durch das gesellschaftliche Miteinander entstehenden Normen, gemäß denen die Menschen sich tatsächlich verhalten und über deren moralischen Charakter sie reflektieren. Diese teleologische Auffassung bezieht die Begründung von Moral also auf den Begriff der Wirkung. Eine nützliche Definition von Moral ist die folgende: Moral ist ein Handeln in einer zwiespältigen Anreizstruktur, das auch den Interessen der anderen, und nicht nur den eigenen, dient und das auch den zukünftigen Nutzen gegenüber dem gegenwärtigen anstrebt. Moral ist immer dann von Bedeutung, wenn ein Konflikt zwischen den Konsequenzen von Handlungen für einen selbst und für andere bzw. für den gegenwärtigen und den zukünftigen Nutzen besteht. Um diese zwiespältige Anreizstruktur auflösen zu können, muß die kollektive gegenüber einer individuellen Rationalität und die langfristige gegenüber einer kurzfristigen Sichtweise verstärkt werden. Allerdings wird eine moralische Handlung nur dann begangen, wenn sie sich zwar nicht direkt, aber auf die Dauer und im Durchschnitt lohnt. Eine moralische Handlung kann sich lohnen, wenn Unmoral sich selbst schädigt, eine moralische Drohung erfolgreich ist, eine moralische Rache möglich ist, Moral als Vertrauen aufgebaut werden kann, Moral als Konvention sich selbst stabilisiert, sich mehr als eine kritische Proportion von Menschen moralisch verhält, ein moralischer Charakter Transaktionskostenvorteile hat oder Moral sich als gutes Gefühl selbst belohnt. Alle diese verschiedenen Gesichtspunkte einer moralischen Handlung werden von den Autoren dieses Bandes analysiert. Es gibt also drei grundlegende Koordinationsmechanismen, die Handlungen koordinieren und Willkür ausschließen. Der eine Mechanismus ist der Markt oder der Tausch, und sein Grundprinzip lautet: Alle Handlungen sind erlaubt, aber alle von ihnen Betroffenen sind wertmäßig zu entschädigen. Der zweite Mechanismus ist die Norm, und ihr Grundprinzip lautet: Alle Handlungen, die jeder in bestimmten Situationen durchzuführen hat, sind vorgeschrieben. Der dritte Mechanismus ist die Moral, und ihr Grundprinzip lautet: Verletze nicht den anderen, und hilf ihm so viel, wie du kannst. Alle drei Mechanismen erzeugen Kosten für menschliche Handlungen, wobei diese Kosten allerdings unterschiedliche Bedeutungen haben. Der am Markt zu zahlende Preis hat einen Entschädigungseffekt: Durch die Zahlung des Preises entschädigt der Käufer den Verkäufer für dessen entstandene Kosten. Die mit der Norm verbundene Sanktion hat hingegen einen Abschreckungseffekt: Sanktionen belegen verbotene Handlungen mit Kosten und sollen das Begehen dieser Handlungen verhindern. Sowohl der Preis als auch die Sanktion verteuern die ihnen zugeordnete Handlung, sind also Kosten, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen - und werden von den Menschen daher in moralischer Hinsicht im Regelfall unterschiedlich wahrgenommen. Die Moral schließlich erzeugt psychische Kosten wie Gewissensbisse oder ein besseres Gefühl bei tugendhaften gegenüber nichttugendhaften Handlungen. Eine Norm hat vor allem die folgenden drei Auswirkungen: a) Durch die Androhung einer Sanktion bei Übertretung einer Norm verteuert die Norm eine Handlung relativ zu einer anderen und erzeugt dadurch eine Handlungsbeschränkung. Diese wird von den Menschen als Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten empfunden. b) Als Handlungsbeschränkung schützt die Norm einen Menschen vor den Willkürhandlungen der anderen und sichert ihm vor allem eine bestimmte Ausgangsausstattung und bestimmte Handlungsmöglichkeiten sowie seine Autonomie als Person. c) Eine Norm sorgt für Ordnungssicherheit, indem sie zum einen Handlungen, die in einer bestimmten Situation zu begehen sind, vorschreibt (Orientierungssicherheit) und zum anderen die Kosten der Übertretung der geforderten Handlung offenbart (Realisierungssicherheit). Dadurch macht die Norm das Verhalten der Menschen wechselseitig erwartbar und senkt folglich Koordinations- und Transaktionskosten. Während der Markt die Anreize dazu schafft, Normen in Form von Verfügungsrechten zu tauschen, d.h. Handlungen zu substituieren, unterbindet die Norm bei Sanktionsandrohung die Substitution von Handlungen. Das Ziel der Norm ist der absolute Schutz eines Gutes, das nicht gegen andere Güter substituiert werden kann. Dieser Schutz soll auch gegen widerstreitende Interessen durchgesetzt werden. So zählen bei der Normkoordination im Unterschied zum Markt Gesinnung, Schuldbewußtsein und Einsichtsfähigkeit; darüber hinaus verschärfen sich im Regelfall die Sanktionen bei Wiederholung der Norrnübertretung, während der Markt Mengenrabatte zugesteht. Moral bezeichnet dann Handlungen zwischen Markt und Nonn. Denn: 1) Handelt jemand derart, daß er von einem anderen uno actu wertäquivalent entschädigt wird, d.h. steht er in einer Markt-Beziehung zu diesem anderen, so hat seine Handlung keinen moralischen Wert, da sie sich direkt lohnt. 2) Handelt jemand derart, daß eine Handlung, die einen anderen schädigen könnte, nur deshalb unterbleibt, weil sie mit entsprechenden Sanktionen bewehrt ist, d.h. steht er in einer Norm-Beziehung zu diesem anderen, so hat seine Handlung ebenfalls keinen moralischen Wert, da sie sich ebenfalls direkt lohnt. 3) Handelt aber jemand derart, daß er das Wohl des anderen vermehrt, ohne sicher zu sein, in naher oder ferner Zukunft von diesem oder einem anderen äquivalent entschädigt zu werden, oder handelt er gemäß einer Norm, obwohl die angedrohte Sanktion relativ gering ist, so hat seine Handlung graduell einen moralischen Wert, da sie sich nicht direkt lohnt. Es folgt, daß die Koordinationsmechanismen Markt, Norm und Moral Institutionen sind, die in einem interdependenten Wechselspiel zueinander stehen. Einzelanalysen von Markt, Norm und Moral verfehlen demgemäß Wesentliches. Die Autoren des vorliegenden Bandes haben es sich daher zur Aufgabe gestellt, dieses Wechselspiel zu analysieren. Resultat ist ein Werk, das jedem Ökonomen oder Sozialwissenschaftler gefallen könnte. Die Beziehungen von Moral, Markt und Norm erörtern Michael Baurmann und Hartmut Kliemt in einem gemeinsamen Beitrag über die Ökonomie der Tugend. Sie zeigen mit Hilfe einer spieltheoretischen Argumentation, wann moralisches Handeln entstehen und in einer egoistischen Umwelt überleben kann, und gehen der Frage nach, ob Moral durch den "Kommerz" verdrängt wird. In seinem Beitrag Wieviel Normierung braucht der Markt? zeigt Thomas Eger, daß technische Normen und Verhaltensnormen in einer Marktwirtschaft einerseits die Vertragsfreiheit einschränken, andererseits aber auch die Chance eröffnen, wechselseitig vorteilhafte Kooperationsmöglichkeiten zu nutzen. Normen und Markt stehen folglich sowohl in einer substitutiven als auch in einer komplementären Beziehung zueinander. Unter juristischem Blickwinkel analysiert Bernhard Nagel Autonomie, Abhängigkeit und Wettbewerb und vergleicht die juristischen Begriffe und Leitbilder mit der entsprechenden ökonomischen Sichtweise. Es zeigt sich, daß die normative Setzung absoluter Leitbilder der Wirklichkeit nicht gerecht wird, daß vielmehr die Grenzen zwischen Autonomie und Abhängigkeit fließend sind. In seinem Aufsatz über Modelle des Rechtssystems setzt sich Eberhard Dorndorf mit der ökonomischen Analyse des Rechts auseinander. Sein Fazit lautet: Eine ausschließlich allokationsorientierte ökonomische Betrachtung ist lediglich partial korrekt und vernachlässigt den juristischen Distributions- und materiellen Gerechtigkeitsaspekt. Bernd Woeckener beschäftigt sich in seinem Aufsatz über Märkte und Normenfindung mit neueren Entwicklungen der Markt- und Wettbewerbstheorie. Er zeigt vor allem mit Hilfe eines synergetischen Modells, wie der Markt technische und Verhaltens-Normen herausbilden kann. Der Markt ist also nicht nur ein Mechanismus, der den Tausch von Gütern koordiniert, sondern einer, der auch Normen finden kann. Thomas Eger und Peter Weise zeigen in ihrem Beitrag über die Evolution von Normen aus Unordnung, wie aus einer ungeordneten Interdependenz in einer Gruppe von Individuen Verhaltensregelmäßigkeiten, d. h. Normen entstehen. Die Ursache hierfür liegt allein in dem Konformitätsdruck, den die Individuen untereinander wechselseitig ausüben. Den Gegensatz von Nützlichkeit und Moral thematisiert Gisela Kubon-Gilke. Sie stellt dem ökonomischen Begriff der Moral als Mittel für eine Lösung sozialer Dilemmata das gestaltpsychologische Konzept der Gefordertheit entgegen und zeigt, warum moralische Urteile auch den Charakter des Sollens besitzen. Unter Zuhilfenahme der Begrifflichkeit von Schopenhauers Moraltheorie zeigt Peter Weise in seinem Beitrag über Moral zwischen Markt und Norm, daß Moral Handlungen zwischen Markt und Norm bezeichnet, d.h. Handlungen, die nicht vollständig dem Entschädigungs- oder dem Abschreckungskriterium unterworfen sind. Ulrich Hampicke erörtert in seinem Aufsatz Moral, Zivilisation und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der ökologischen Bedrohung. Er weist nach, daß ökonomische Markt- und Normen-Instrumente alleine nicht hinreichen, eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen, sondern daß sie vielmehr durch moralische Maximen im Sinne von Kant ergänzt und unterstützt werden müssen. Die Reihenfolge der Aufsätze ist von den Herausgebern so bestimmt worden, daß eine systematische Einführung in das Problemfeld von Markt, Norm und Moral gegeben ist. Aber auch eine von dem Leser gewählte andere Reihenfolge ist dem großen Lesevergnügen nicht abträglich.
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