Küss mich, Pirat
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Kapitel 1
Wenn ich eines in den vergangenen Wochen gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass je mehr Eiscreme man in sich hineinschaufelt, umso mehr denkt man über das Leben nach. Wie ein Film zogen die letzten eineinhalb Jahre an mir vorbei und ich untersuchte ihn bis ins kleinste Detail. Wann war das alles derart aus dem Ruder gelaufen? Wann hatten Nick und ich uns aus den Augen verloren? Wann hatte ich den entscheidenden Fehler begangen, der ihn schließlich in die Arme einer anderen Frau trieb? Oder war ich etwa von Anfang an nicht genug? War ich etwa eine Frau, die mit rosaroter Brille lebte und ihre eigenen Fehler nicht erkannte? Wohin war das Glück verschwunden, das ich glaubte, gefunden zu haben? Ich hing fest in einer Endlosschleife aus Zweifeln, Selbstmitleid, unzähligen Tränen und der Frage, warum ausgerechnet ich so ein Pechvogel war, dem alles zu entgleiten schien, das ihm lieb und teuer war.
Knapp fünf Wochen war es her, dass Nick mit meiner Cousine Chloe durchgebrannt war, nachdem ich sie in flagranti bei ihm zu Hause erwischt hatte. Er war gerade dabei gewesen, genüsslich Sahnehäubchen von ihren Mini-Brüsten zu schlecken. Mir wurde bei dem Gedanken daran noch immer übel.
Heute Morgen hatten Lucy und Mia, meine beiden besten Freundinnen, vor der Tür gestanden, jede mit einem Koffer in der einen und der Kreditkarte in der anderen Hand, und mich durch ihre schicken, übergroßen Sonnenbrillen gemustert. Dass es draußen wie aus Eimern goss, schien die beiden wenig zu interessieren.
»Wollt ihr bei mir einziehen, oder was?« Ich unterdrückte den Drang, über meinen quietschrosafarbenen Einhornpyjama nachzudenken, während die beiden wie immer frisch und aufgetakelt waren.
»Zieh dich an, Emily, wir verreisen!«, sagte Lucy auf ihre gewohnt direkte Art, schob mich beiseite und trat ein.
»Wir … tun was?«, keuchte ich überrascht und wusste nicht, wie mir geschah.
»Wir sind es leid, dass du in deiner trostlosen Höhle versauerst. Es wird Zeit, dass du zu den Lebenden zurückkehrst«, bemerkte Mia.
»Ich habe aber keine Lust darauf. Lasst mich in Ruhe!«, maulte ich, ließ mich jedoch von Mia durch die Wohnung bugsieren.
»Du gehst duschen, wir packen den Koffer!« Lucys Befehlston jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. »Hast du die Kreditkarte aufgetaut?«
»Aufgetaut?« Ich blickte sie irritiert an. Wo war ich gelandet? In einer kitschigen US-Komödie?
»Ach, vergiss es. Tu, was wir sagen, und dir wird nichts geschehen.« Mia wedelte mit der Hand und bedeutete mir, ins Badezimmer zu verschwinden.
»Ja ja, schon gut.«
Keine zwei Stunden später fanden wir uns am Last-Minute-Schalter von Heathrow wieder und planten unsere Reise ins Blaue. Drei Single-Ladys, aufgetakelt bis zum Gehtnichtmehr, auf der Suche nach einem spaßigen Urlaub am Strand. Lucys Worte, nicht meine. Es überraschte mich kaum, dass uns der junge Mann am Schalter mit einem Grinsen im Gesicht eine Reise auf die Balearen buchte. Genau das war es, was ich an den Mädels liebte: Unsere spontanen Trips quer durch die Welt. Wir hatten Glück, dass wir durch die Unterstützung unserer Eltern finanziell unabhängig waren. Jeden Monat bekamen wir das nötige Geld zur Verfügung gestellt, um unsere Mieten zu bezahlen. Nebenbei jobbten wir ab und an in verschiedenen Cafés und Geschäften, um unser verwöhntes Londoner Studentenleben führen zu können. Zumindest gönnte ich mir den einen oder anderen Luxus, wenn ich mit Lucy und Mia unterwegs war, denn der Spaß mit meinen Freundinnen war etwas, das ich wie die Luft zum Atmen brauchte. Aber ob mir das diesmal wirklich helfen würde?
***
Ich machte den ersten Schritt aus dem Flugzeug und lief gegen eine Hitzewand. Wären hinter mir nicht noch mehr Fluggäste gewesen, die nach draußen drängten, hätte ich wohl direkt kehrtgemacht und wäre nach London zurückgeflogen. In meiner Heimatstadt packten die Leute gerade bei angenehmen zwanzig Grad die Sommerkleider aus. Hier hingegen herrschten wüstenartige Temperaturen, die mir sofort die Schweißperlen auf die Stirn trieben.
»Na, hab ich zu viel versprochen?« Mia streckte die Arme gen Himmel. Mit Lucy und mir im Schlepptau stolzierte sie die Treppe hinunter, als wäre sie auf einem Laufsteg in Mailand.
»Es ist herrlich!«, flötete Lucy und steckte die langen, roten Locken mit einer schmetterlingsförmigen Haarklammer hoch.
Ich verdrehte die Augen, denn meine gute Laune und die Vorfreude hielten sich in Grenzen.
Wir drängten uns wie alle anderen auch in den aufgeheizten und nicht klimatisierten Bus, der uns zum Terminal bringen sollte.
»Jetzt guck nicht so griesgrämig. Hallo? Wir sind auf Ibiza!« Lucy boxte mir gegen den feucht glänzenden Arm und warf daraufhin einen angewiderten Blick auf ihre Hand.
»Fass mich bloß nicht an«, murrte ich, wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und erntete einen bockigen Gesichtsausdruck.
Wir Engländer waren solch eine Hitze nicht gewohnt und wer hätte schon damit rechnen können, dass uns im Hochsommer auf den Balearen derart hohe Temperaturen erwarteten? Na gut, wenn ich mein Hirn eingeschaltet hätte, wäre ich darauf gekommen. Das befand sich jedoch momentan im Standby-Modus, um nicht in Versuchung zu geraten, über Nick nachzudenken. Ich tat es trotzdem. Nick war überall. In meinen Träumen, meinen Gedanken, meinem zersplitterten Herzen …
Es gab kein Entkommen. Am Flughafen hatte ich geglaubt, ihn inmitten der Menge gesehen zu haben, dabei war es nur irgendein Typ gewesen, der Ähnlichkeit mit ihm hatte. Verfluchter Mist. Wenn es doch wenigstens aufhören würde, so verdammt wehzutun!
Seufzend presste ich den Stoffrucksack an mich und verfluchte mich innerlich, nicht Mias Beispiel gefolgt zu sein, und meine langen, an mir klebenden Haare zusammengebunden zu haben. Dummerweise hatte ich gerade keinen Haargummi oder eine Spange zur Hand, sodass ich sie lediglich zusammendrehen und über meine Schulter hängen lassen konnte.
Ratternd fuhren wir dicht an dicht gedrängt los und klammerten uns an die Haltestangen, die das alte Gefährt zu bieten hatte. Wenige Minuten später wurden wir in die stickigen Hallen des Flughafens entlassen und machten uns auf den Weg zur Gepäckabholung.
Zwei Stunden später kamen wir erschöpft im Hotel an. Was uns als Last-Minute-Schnäppchen angepriesen wurde, entpuppte sich als eine von russischen Touristen besetzte Bruchbude. Nachdem wir eingecheckt hatten, traten wir in den mittelalterlich wirkenden Fahrstuhl und drückten auf die Taste für das achte Stockwerk. Die Türen schlossen sich, doch mehr geschah nicht. Der Aufzug spielte Toter Mann und rührte sich keinen Zentimeter. Die Türen konnten wir auch nicht mehr öffnen.
»Oh Gott, oh Gott, oh Gott, ich habe doch Klaustrophobie! Aaaah, die Wände kommen immer näher! Ich …«
»Du hältst jetzt die Klappe!«, fuhr ich Mia an und drückte auf den Notfallknopf. Draußen ertönte ein lautes Scheppern, sodass wir vor Schreck zusammenzuckten.
»Oh Mann, wo sind wir hier nur gelandet?« Lucy versuchte, die Schachttüren zu öffnen. Aber ihre Mühe war vergebens. Sie brach sich lediglich einen Fingernagel ab und heulte auf.
Von außen schlug jemand gegen den Aufzug. Mit einem Krachen setzte der sich in Bewegung, hielt in der zweiten Etage an und die Türen gingen auf. Fluchtartig versuchten wir, uns gleichzeitig durch die enge Türöffnung zu quetschen. Es dauerte einen Moment, ehe wir uns so sortiert hatten, dass wir gesittet eine nach der anderen die Kabine verlassen konnten.
»Mit dem Aufzug fahr ich nie wieder!«, schimpfte Mia und schüttelte vehement den Kopf, während wir das Gepäck zur Treppe zerrten.
Ich ignorierte das zustimmende Gemurmel von Lucy, schließlich war sie an diesem Dilemma schuld. Das Hotel hatte nämlich sie ausgesucht.
An meinem Versuch, den Koffer die Stufen hinaufzuwuchten, scheiterte ich kläglich, denn ich verlor das Gleichgewicht. Instinktiv griff ich mit einem erschrockenen »Woaaaah!« nach dem Geländer. Das riss dabei aus der Verankerung und drohte, mit mir gemeinsam einen weniger eleganten Abgang zu machen.
Lucy stemmte sich sofort von hinten gegen mich, sodass ich es doch noch schaffte, auf den Beinen zu bleiben, während der Koffer mit einem lauten Rumpeln an uns vorbeifiel, und am Fuß der Treppe liegen blieb.
»Verdammte Scheiße!« Ich hielt mich an Lucy fest. Mia studierte mit leerem Blick das lose herabhängende Geländer, dem ich mit meinem Stunt den Rest gegeben hatte. Die Situation war so absurd, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Unser Spontanurlaub entwickelte sich mehr und mehr zu einem Albtraum.
»Warte, ich helfe dir.« Lucy brachte ihren Koffer zum Ende der Treppe und kehrte anschließend zu mir zurück, um mir mit meinem zur Hand zu gehen.
»Danke.« Ich lächelte zaghaft.
Lucy lachte auf und schüttelte den Kopf. »Ach, hör doch auf. Dafür sind Freunde da. Wir fangen uns immer wieder gegenseitig auf, nicht wahr?«weiterlesen
14,90 € inkl. MwSt.
kostenloser Versand
lieferbar - Lieferzeit 10-15 Werktage
zurück