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Kulturelle Differenzen und kollektive Identitäten

Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)

Selbst innerhalb der modernsten Gesellschaften bleiben kulturelle Differenzen nicht nur erhalten, sondern sie vervielfältigen, verstärken und erfinden sich neu. Damit wird der strikte Gegensatz zwischen Universalismus und Partikularismus hinfällig. Mit dieser These im Gepäck wirft Michel Wieviorka im ersten Teil seines Buches einen Blick zurück auf die theoretischen und politischen Versuche, mit der Herausforderung der neuen kulturellen Differenzen fertig zu werden: nämlich auf die Kommunitarismus-Debatte einerseits und die multikulturalistische Politik andererseits. Kulturelle Vielfalt, wie sie der Multikulturalismus verstand, ähnelt einem bunten Flickenteppich scharf abgegrenzter, in sich homogener und erstarrter ethnischer Identitäten. Ein solches Modell, meint Wieviorka, trifft für unsere Gesellschaft gar nicht mehr zu; um wirksam zu sein, muß eine multikulturalistische Politik die Bevölkerungssegmente, die sie fördern will, selbst definieren, identifizieren, nach ethnischen, religiösen oder 'rassischen' Kriterien kategorisieren, also im Wortsinne 'diskriminieren'. Wo kulturelle Differenzen labil sind, sich mischen und neu konfigurieren, bedarf es eines anderen Modells. Wieviorka gibt deshalb der Vorstellung vermischter, mestizenhafter, hybrider Kulturen den Vorzug. Im zweiten Teil des Bandes entwirft der Autor eine Typologie der kulturellen Differenzen. Sein leitendes Prinzip ist dabei die idealtypische Unterscheidung zwischen einer Logik der Reproduktion 'primärer' Differenzen und einer Logik der Konstruktion neuer oder erneuerter, also 'sekundärer' Differenzen. Im ersten Fall reklamieren die Akteure den Fortbestand einer gegebenen, tradierten Identität. Im zweiten Fall wird die Differenz von den Akteuren konstruiert, aus tradierten Elementen 'zusammengebastelt' und frei gewählt. Diese Neuerfindung von Traditionen untersucht Wieviorka am Beispiel der amerikanischen Schwarzen und der zweiten und dritten Generation der Migranten in Europa. Schließlich entwickelt Wieviorka ein Modell, welches die Spannungen, denen sich jeder einzelne durch die kulturellen Differenzen ausgesetzt sieht, im geometrischen Bild eines Dreiecks veranschaulicht. Dessen drei Ecken sind die kollektive Identität, die moderne Individualität und die Subjektivität. In einer Demokratie schließen sich die Bekundung einer kollektiven Identität und die individuelle politische Teilnahme am gesellschaftlichen Leben keineswegs aus. Allgemeines und Besonderes stehen sich nicht als binäre Opposition starr gegenüber, sondern öffnen zusammen mit dem dritten Pol – der Subjektivität – einen Raum, in dem jeder einzelne (im Idealfall) frei zirkulieren kann. Zwischen dem Extrem der totalen Assimilation und dem Extrem der totalen Einkapselung stehen dem einzelnen viele Positionen offen. Kulturelle Partikularismen können dem Individuum die Kraft verschaffen, die es benötigt, gegen Unterdrückung Widerstand zu leisten, ein kollektives Trauma psychisch zu bearbeiten, eine Stigmatisierung umzuwerten – mit einem Wort, zum Subjekt seiner Handlungen zu werden.weiterlesen

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-930908-90-5 / 978-3930908905 / 9783930908905

Verlag: Hamburger Edition, HIS

Erscheinungsdatum: 01.10.2003

Seiten: 246

Auflage: 1

Übersetzt von Ronald Voullié
Autor(en): Michel Wieviorka

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