Kunde vom Volk
Forschungen zur Wiener Volkskultur im 20. Jahrhundert
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Volk, Kultur, Volkskultur – Begriffe, Problemstellungen, Horizonte
Wer – wie im Titel dieser Arbeit geschehen – von Volkskultur spricht, begibt sich zwangsläufig auf unsicheres Terrain, bewegt sich auf glattem Parkett. Und dies kommt nicht von ungefähr, schwingen doch in diesem Terminus stets dessen ideologische Indienstnahme, dessen Verstrickung in chauvinistische politische Konzeptionen und dessen verdächtige Nähe zu unheilvollen Vorstellungen vom besonderen Wert der Kultur des eigenen Volkes mit. Volkskultur ist, an dieser Einsicht führt kein Weg vorbei, ein belasteter Begriff, ein Terminus, der einer Konzeption des völkisch begründeten Nationalstaates entsprungen ist. Eine Konzeption, die anfangs in der Tat fortschrittliche Züge innehatte, weil sie die Entstehung moderner Staatssysteme überhaupt erst ermöglicht hat. Aber auch eine Konzeption, mit deren Hilfe die Bewohner bestimmter Territorien gegeneinander aufgebracht wurden. Eine Konzeption, die dazu führte, dass die Unterschiede zwischen bestimmten Menschengruppen derart akzentuiert wurden, dass am Ende deren Be-Wertung stand, ja stehen musste.
Indem bestimmte Merkmale einer menschlichen Population als mehr oder weniger wertvoll definiert wurden, wendete man die Vorstellung vom »Volkscharakter«, von den kulturellen Spezifika einer kulturellen Einheit ins Chauvinistische, setzte die Spezifika des eigenen Volkes an die Spitze der Werteskala' und entwertete damit per se die Eigenheiten der anderen. Eine Konstruktion, die bis hin zur Begründung von Gewaltanwendung gegen jene führte, deren Leben anders organisiert war, deren Lebensäußerungen Ansichten lieferten, die von den eigenen Bildern abwichen. Insofern mag es richtig erscheinen, dass nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft einzelne Fachvertreter der Volkskunde in Deutschland und Österreich die Abkehr von der Volkskultur forderten, den »Abschied vom Volksleben« proklamierten und neue Zugangsweisen zu jenen Phänomenen suchten, die man bislang als die Kultur des Volkes definiert hatte. Die Erkenntnis, dass die Volkskunde und die ihr zugrunde liegenden Ideen vom Volk von der nationalsozialistischen Ideologie nicht nur genutzt und pervertiert wurden, sondern diese Ideologie mit zu verantworten hatten, ließ für einige Protagonisten der Fachdisziplin die Abkehr nicht nur von überkommenen ideologischen Konzepten, sondern auch von der mit diesen verbundenen Terminologie und den Gegenständen des Faches angezeigt erscheinen. Ganz bewusst griff Hermann Bausinger, herausragender Vertreter der Nachkriegsvolkskunde in Deutschland, in der Einleitung zu seinem Neuentwurf einer »Volkskunde in der technischen Welt« auf ein Dichterwort zurück: »Bert Brecht fordert einmal dazu auf, statt „Volk“ in unserer Zeit „Bevölkerung“ zu sagen: wer diesen Tausch vornimmt, „unterstützt schon viele Lügen nicht“.«
Die Marschrichtung schien damit abgesteckt: weg von den Vorstellungen des Volkes als Gesamtpersönlichkeit, weg von der Volkskultur als Ausdruck der Volksseele und weit weg vom volkskundlichen Stallgeruch des Rassismus. Dagegen auf zu neuen Ufern in der Nähe der aufgeklärten Sozialwissenschafren, auf zum hellen Schein der Soziologie. Diese grundlegenden Überlegungen haben die Volkskunde in der Tat vielerorts ein Stück vorangebracht, haben den Blick von der vor allem historischen Arbeit, von der Reliktsuche und der Theoriebildung im Sinne der völkisch angehauchten Herkunftssuche weg und hin zu gegenwartsrelevanten Gegenständen gelenkt. Die Volkskunde? Durchaus nicht! Denn die Antwort auf Bausinger erfolgte postwendend: Etwa vom damaligen Direktor des Wiener Volkskunde-Museums und führenden Fachvertreter in Österreich, Leopold Schmidt, welcher zu Bausingers Schrift meinte: »Ein Buch, das mit dem Zitat eines gehässigen Brecht-Wortes beginnt, könnte man an sich ungelesen wieder weglegen: Wozu lesen, Volkskunde hat mit Brecht nichts zu tun.«
Und mehr noch: Schmidt konnte es nicht verstehen, inwiefern »die Sprengung des früheren Horizontes, das Hinaustreten der Menschen aus engeren Lebensräumen in weitere, mit unseren Grundanliegen etwas zu tun haben soll.« Es ist vermutlich nicht zu hoch gegriffen, aus der Perspektive des Überblicks über den gesamten deutschsprachigen Raum von einer Spaltung des Fachs infolge der innerdisziplinären Auseinandersetzungen in den sechziger und siebziger Jahren zu sprechen. Nicht umsonst erfolgten an den Standorten Tübingen und Frankfurt am Main im Gefolge dieser Diskussionen die Umbenennungen der Universitätsinstitute. Und während die Progressiven argumentierten, dass es gerade auch die Volkskunde gewesen sei, welche dem Nationalsozialismus intellektuelle Munition geliefert habe, insistierten konservative Fachvertreter darauf, dass sich die nationalsozialistische Ideologie lediglich der Volkskunde bedient und deren per se richtige Grundlagen pervertiert hätte.
Für Österreich im weiteren und Wien im engeren Sinne sind diese Überlegungen insofern von Bedeutung, als man sich hier allzu lange durchaus nicht durch kritische Geister a la Bausinger verunsichern lassen wollte. Zwar nahm man mehr oder minder widerwillig zur Kenntnis, dass die universitäre Wiener Volkskunde als Bestandteil der SS-Forschung unmittelbar in die nationalsozialistische Ideologie eingebunden gewesen war, Konsequenzen wollte man hieraus gleichwohl nicht ziehen. Denn erstens konnte man sich darauf berufen, dass die Volkskunde schon vor 1938 nicht anders arbeitete als nach dem »Anschluss«, und zweitens lieferte die Legende von der ausschließlichen Opferrolle der Republik Österreich eine Vor-Stellung, welche von jeglicher Verantwortung von vornherein reinzuwaschen half. Dennoch sind diese fachinternen Auseinandersetzungen auch für die österreichische und speziell die Wiener Volkskunde nicht bedeutungslos. Sie wurden jedoch unter anderen Bedingungen als in Deutschland und auch zeitverzögert zu diesen Diskussionen geführt.
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