Der Titel "Lampedusa im Winter" hat etwas unaufgeregt Poetisches. Angesichts der Landschaftsaufnahmen kann man die Schönheit des italienischen Eilands, das Afrika geografisch näher ist als Sizilien, nicht übersehen. Doch der so benannte Dokumentarfilm des österreichischen Filmemachers Jakob Brossmann hat die Flucht über das Mittelmeer zum Thema, die in den vergangenen Jahren zehntausenden Menschen das Leben gekostet hat.
Im Winter 2013 und 2014 filmte Brossmann das Leben auf Lampedusa. Nach der Funkaufnahme des Notrufs eines Flüchtlingsschiffs zu schwarzem Bild und einer Suchfahrt der Küstenwache steht der Alltag im Mittelpunkt: Ein Radiomoderator berichtet von der ausgebrannten Fähre, die Lampedusa mit dem Festland verbindet. Ein Streik der Fischer ist die Folge. Wie in einem Paralleluniversum protestiert gleichzeitig eine Gruppe junger Flüchtlinge vor der Kirche. Paola, eine engagierte Einheimische, unterstützt sie nach Kräften mit Tee und ehrlichen Worten. Ein Mann hat mit Fundstücken aus zerstörten Booten ein Museum eingerichtet. Kinder gehen zum Fußballtraining. Giusi Nicolini, die charismatische Bürgermeisterin der Insel, kämpft für die Sache der Fischer ebenso wie für jene der Flüchtlinge -etwa mit der "Charta von Lampedusa".
Die unaufgeregte Poetik des Titels setzt Brossmann in der Machart seines Films fort: Welch starke, durchdachte Komposition der Bilder hier stattgefunden hat, steht außer Frage, dass vieles inszeniert ist, ebenso. Brossmann verzichtet auf Talking Heads, filmt stattdessen, wie die Lampedusani von Journalisten interviewt werden. Das Ergebnis ist eine schlaue Doku mit Symbolkraft, die am Beispiel einer kleinen Gemeinde eindrucksvoll auf das größere, hochaktuelle Bild verweist.weiterlesen