Lissy Winterhoff - Fotografische Archäologie
Fotoplastische Arbeiten von 1978 bis heute
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Wer die Künstlerin Lissy Winterhoff kennenlernt, spürt bald, es geht ihr um mehr als um l’art pour l’art – es geht ihr um Geschichte, Gesellschaft, Natur, Veränderung und den Menschen. Wie eine Rechercheurin spürt sie in ihren Bildern und den literarischen Zitaten existenziellen Fragestellungen nach, die die Menschheit seit jeher bewegen. Daher nimmt es nicht Wunder, wenn wir im Gespräch erfahren, dass Lissy Winterhoff sich auch im Forschungsbereich der Archäologie einmal intensiv umgesehen hat. Und einer Feldarchäologin gleich sammelt sie mit ihrer Fotokamera Spuren, Bildstücke, Hinweise und Orte, die sie dann in ihre sogenannten Fotoplastiken umsetzt.
Lissy Winterhoff arbeitet mit Fotografie, die sie auch selbst in der Dunkelkammer entwickelt und auf ausgesuchten Papieren und anderen Bildträgern bearbeitet und das alles mit perfekter technischer Finesse. Aber sie ist dennoch keine klassische Fotografin, denn sie verwendet die Fotografie durch unterschiedliche Verwandlungstechniken als ein Medium der Bildfindung, der Zeichnung und befreit sie bisweilen von allen dokumentarischen Konditionen, um sie freizugeben für die Betrachtung. Sie selbst hat dafür den Begriff der Fotoplastiken entwickelt, die in ihrem Atelier entstehen und die sie deutlich von der klassischen Fotografie abgrenzen. Den Begriff der Fotoplastik entlehnt sie nach dem Künstler und Bauhauslehrer László Moholy-Nagy (1895 bis 1946) und meint damit keine Plastik im dreidimensionalen Sinn, sondern die inhaltliche Erweiterung der Fotografie aus der Dokumentation heraus in das Feld der Kunst, das sich aus Konzept, Material und Dargestelltem zu einem Objekt, einem Artefakt zusammen findet.
Die Serie von Arbeiten, die sie mit dem Begriff der Fotoplastik belegt, zeichnet sich auch durch eine besondere Intensität der Materialität aus. Oft behandelt sie das Trägermaterial des Papiers, auf dem das Foto entwickelt wird, mit einer Schicht, die den haptischen Charakter betont, wie zum Beispiel mit original Wüstensand eines Wadis – so wie in einigen Werken des Zyklus „Libysche Wüste“ von 2001. Wichtig ist dabei, dass die Verwendung der unterschiedlichen Materialien wie Büttenpapiere, Aquarellpapiere, Leinwand, Sand etc., sowie die Umwandlung in andere Medien wie Fotoradierungen und Siebdrucke immer abhängig sind von den Themen und deren Zusammenhang.
Am ehesten noch können wir ihre Fotografien als begründendes Material der Weltaneignung erkennen. Sie macht ihre Aufnahmen an Orten, an denen sie mal im historischen, mal im bildkünstlerischen, mal im literarischen Sinne auf Spurensuche geht, um nach Künstlern der Vergangenheit, nach Ereignissen der Geschichte und nach Bildhaftigkeit zu fahnden, die uns aus der Kunstgeschichte vertraut erscheinen – so wie ihre Serie auf den Spuren des Impressionisten Alfred Sisley oder die Serie über den Wald von Fontainebleau (S. 92), die uns anrühren und in ihrer Ästhetik einfangen. Aus der Berührung wird ein Schlag, wenn wir ihre Serie der Recherche in den Schreckenskammern der Geschichte erkennen, in denen sie uns die bedrückenden Bilder aus dem Konzentrationslagern Auschwitz (Stammlager), Birkenau und Buchenwald vor Augen stellt und sie mit einem Zitat nach Ruth Klüger betitelt: „Erschöpft schluckte ich das Grausen, das mir in den Hals stieg, wie Kotze“. Doch gerade in den künstlerischen Arbeiten, in denen sie seit vielen Jahren die Grausamkeit des Holocaust thematisiert, bleibt sie am ehesten anteilnehmende Betrachterin, die versucht, das Unverständliche in reduzierten Bildmotiven zum Ausdruck zu bringen – verstärkt durch eingefügte Texte von Überlebenden.
Gewachsenheit, Erinnerung und Struktur, das sind die Elemente, aus denen sich die Arbeiten von Lissy Winterhoff zusammensetzen, ob sie nun mit konkreten Gegebenheiten arbeiten wie den Landschafts- und Ortsfotografien oder ob die Gestaltung sich als Fotogramm auf der Bildfläche entwickelt und den Betrachter als den „Spurenleser“ und Archäologen einer Landschaft der Erinnerung herausfordert. Die Tiefe der Schichtung ist dabei Lissy Winterhoffs Analog für Subjektivität.
Dr. Gabriele Uelsberg
Landesmuseumsdirektorin a.D., Bonnweiterlesen
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